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Artikel aus der evangelischen Wochenzeitung „Die Kirche“, 14.07.2004:
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IM Apostel
Hochrangige Vertreter der Neuapostolischen Kirche waren Spitzel
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www.die-kirche.de
"Die Neuapostolische Kirche (NAK) ist eine sehr extreme und strenge christliche Sekte", urteilt Pfarrer Thomas Gandow, Sektenbeauftragter der EKBO. In der Öffentlichkeit gilt die NAK als harmlose Freikirche, doch Aussteiger erheben schwere Vorwürfe: Die Sekte treibe ihre Mitglieder in die Isolation, setze sie psychisch unter Druck und überwache das Privatleben der Gläubigen bis ins Kleinste. Den so genannten Aposteln an ihrer Spitze sind alle Kirchenmitglieder
zu absolutem Gehorsam verpflichtet. Aktives Mitglied war der 38-jährige Olaf Wieland aus Hamburg. Heute steht er der viertgrößten Religionsgemeinschaft mit 380.000 Mitgliedern in Deutschland kritisch gegenüber. Mehrere Jahre erforschte er im Bundesarchiv und bei der Konrad-Adenauer-Stiftung die Vergangenheit der NAK. Ergebnis: Die Neuapostolische Kirche arbeitete mit der DDR-Staatssicherheit zusammen. Mit Olaf Wieland sprach Sibylle Sterzik
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Wie stehen Sie zur Neuapostolischen Kirche (NAK)?
Ich bin in diese Kirche hineingeboren. Mein Vater war Priester. Schon als Jugendlicher stellte ich kritische Fragen zur kirchlichen Vergangenheit. Aber wenn man Kritik übt, wird man ausgegrenzt. Mit mir wurde nicht mehr gesprochen. Anfangs ging ich trotzdem noch zur Kirche, seit zehn Jahren nicht mehr. Aber ich musste sehr mit mir kämpfen, weil der psychische Druck, den diese Kirche ausübt, sehr hoch ist. Wenn man gegen die Maßstäbe der NAK verstößt, entsteht sofort die Angst, "verloren" zu sein. Uns wurde eingehämmert, Jesus würde nur diejenigen retten, die nach den Geboten der Neuapostolen leben.
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Sie haben eine Selbsthilfegruppe für NAK-Kritiker gefunden.
Mich verfolgte die Angst: Wenn ich mich von der Kirche entferne, bin ich verloren. Einigen aus der Gruppe, mir auch, bescheinigte das Versorgungsamt Lübeck eine seelische Behinderung aufgrund der rigiden Erziehungsmethoden der NAK.
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Was hat Sie bewogen, die Verwicklungen der NAK mit den Staatssicherheitsorganen des DDR-Regimes zu erforschen und was wollen Sie erreichen?
Die Forschungsarbeit begann ich mit zwei Mitgliedern der Selbsthilfegruppe, die wie ich aus der DDR kommen. Wir wollen die Kirche anprangern wegen ihrer Verfehlungen in der Vergangenheit. Im guten Sinn, damit sie umkehrt, Reue übt und Buße tut. Sie soll ein Mitschuldbekenntnis ablegen im Blick auf ihre Vergangenheit im NS-Staat und die massive Unterstützung des Unrechtsregimes in der DDR. Die NAK, die sehr reich ist, weil alle Mitglieder den Zehnten vom Bruttogehalt abgeben, soll in einen Opferfond für ehemalige politische Häftlinge einzahlen, wie das die Evangelische Kirche für die Zwangsarbeiter getan hat.
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Worin sehen Sie Mitschuld an den Verbrechen des NS-Staates?
Die NAK hat das System auf allen Gebieten unterstützt und gefördert. 13 Apostel waren in der NSDAP. Dabei gelten die Apostel als die einzigen, die das Erlösungswerk Christi auf Erden weiterführen. Nur durch sie kann man sich "versiegeln" lassen und "ein Gotteskind" werden. Die kircheninterne Zeitschrift "Unsere Familie" druckte nationalsozialistische und Kriegspropaganda. Der Sohn des Stammapostels Johann Bischoff war in der SA. "Jeder sei untertan der Obrigkeit" (Römer 13) wurde undifferenziert angewendet. Offiziell gab es keinen Widerstandskämpfer. Mein Großvater war trotzdem einer. Er versteckte Juden. In der NAK und meiner Familie war er deswegen nicht gut angesehen. Ich bin stolz auf ihn!
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Was haben Sie über die Verstrickung mit dem DDR-Staatsapparat herausgefunden?
Mir liegen von der Gauck-Behörde zwei Anwerbeprotokolle vor, die den Apostel Kurt K. als IM "Kurt Sigmund" und Willy A., früherer Bischof der NAK, als IM "Willy" "auf freiwilliger Grundlage angeworben" ausweisen. Per Handschlag versprach K. mitzuarbeiten. Ich habe 131 Seiten Berichte von Apostel-Treffen, die sie der Staatssicherheit lieferten. Die Evangelische Kirche bezeichnete K. übrigens in einem Bericht als eine, die "die Lehre und Linie von Christus schon längst verlassen hat" und "lieber abtreten sollte". Kurt K. traf sich konspirativ mit dem Oberstleutnant Manfred Seltmann, einem dem MfS treu ergebenen Offizier im besonderen Einsatz (OibE). Ein oberster Würdenträger, der allein das Recht hat, Menschen zu verstoßen oder zu versiegeln, ließ sich freiwillig mit den DDR-Sicherheitsorganen ein. Im Bericht von Unterleutnant der Kriminalpolizei Leubner heißt es: "Auf die konkrete Frage, ob er einer Zusammenarbeit mit mir zustimmt, sagte er, dass er keine Gründe hätte, diese abzulehnen." Die Abteilung K1 der Kriminalpolizei arbeitete eng mit der Staatssicherheit zusammen. 
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Wurde jemandem geschadet?
Mit ihren Berichten gaben der Apostel und der Bischof zielgerichtet Hinweise auf Leute, die dem Gottesdienst länger fern blieben. Mangelhafter Gottesdienstbesuch wurde dann gleichgesetzt mit einem zwielichtigen Umgang und asozialem Lebenswandel. Das war denunzierend! Dadurch gerieten betreffende Personen ins Visier der Sicherheitsorgane. Eine Frau wurde wegen angebeblicher Vorbereitung zur Republikflucht von ihrem Gemeindevorsteher angezeigt. Auch Zeugen Jehovas, wenn sie zu uns in den Gottesdienst kamen, wurden bei der Polizei denunziert. Sie waren seit 1950 in der DDR verboten. Eine Kirchengemeinschaft lieferte die andere ans Messer.
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Der Apostel ist gestorben, der Bischof lebt noch.
Wir wollen nicht anklagen, sondern wissen, wieso er beziehungsweise die NAK da mitgemacht hat, obwohl andere sich aus ihrer christlichen Grundeinstellung verweigert haben. Man hätte ohne Nachteile auch ablehnen können. Den Bischof und Bezirksapostel im Ruhestand werden wir in einem Brief bitten, zu seiner IM-Tätigkeit Stellung zu nehmen. Das passt einfach nicht zusammen, so ein hohes Amt und die freiwillige Zusammenarbeit mit den Sicherheitsorganen einer Diktatur. Am meisten kritisieren wir die Unfähigkeit der NAK ihr Fehlverhalten zuzugeben.
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Die NAK befindet sich aber zurzeit in einem – wenn auch zögerlichen – Öffnungsprozess.
Die Medien sind aufmerksam geworden. Nun steht die NAK unter Druck und gibt sich liberal. Das ist Taktik, mehr nicht. Es zielt zum einen auf öffentliche Image-Pflege angesichts einer kritischen Öffentlichkeit und zum anderen darauf, Kritik von innen zu unterdrücken. Es geht nur darum, Mitglieder zu halten. Tausende sind in Deutschland schon ausgetreten.
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Rechnen Sie mit Schwierigkeiten, wenn Sie ihre Forschungsergebnisse veröffentlichen?
Die NAK ist bestrebt alles zu ignorieren. Diffamierungen sind die einzigen Rückmeldungen auf solche Artikel. Wir lassen uns davon nicht beeinflussen.
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Quelle: Die Kirche, Evangelische Wochenzeitung für Berlin, Brandenburg und die schlesische
Oberlausitz, 14.07.2004. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
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