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22.06.2002 |
Verstand an der Kirchentür
abgeben? |
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"Der Mensch, ein Geist, den sein Verstand dich [Gott]
zu erkennen leitet ..." (Neuapostolisches Gesangbuch, Lied 504,
4. Strophe) |
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Wer dem Gottesdienst des Stammapostels am 16. Juni 2002 in Halle/Saale
oder in einer der "angeschlossenen" Gemeinden beiwohnte, sah sich mit einer
schlagwortartigen Aussage des schweizer Bezirksapostels Armin Studer konfrontiert,
welche missverständlich aufgefasst werden kann. |
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In seiner Predigt nahm er Bezug auf die biblische Erzählung von
der Heilung eines Gelähmten durch Jesus Christus. Das Geschehen von
Kapernaum ist im Markus-Evangelium überliefert [Mk.
2, 1-12]. Vor den Augen der Schriftgelehrten befreite
Jesus einen "Gichtbrüchigen" von seinem Leiden. Da der Ort des Geschehens
voller Menschen war, musste der Kranke zuvor auf das Dach des Hauses getragen
werden. Durch ein Loch im Dach wurde er auf einem Bett liegend heruntergelassen. |
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Bezirksapostel Studer ergänzte diese Begebenheit mit dem sinngemäßen
Ausspruch, man müsse den Verstand ausschalten, um von Jesus geheilt
zu werden. Um zu ihm zu gelangen, müsse man Hindernisse überwinden.
Als eines dieser Hindernisse nannte er exemplarisch den Verstand. |
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Einem denkenden Christen wird angesichts dieser Aussage klar, dass
es hier um die Hervorhebung eines starken und unerschütterlichen Glaubens
ging, der mit dem Verstand letztlich nicht vollends zu ergründen ist.
Eine entsprechende Interpretation seiner Worte blieb Bezirksapostel Studer
in seiner Co-Predigt allerdings schuldig. Die Zuhörer waren also einmal
mehr gefordert, ihren Verstand zu gebrauchen und über das Gesagte
nachzusinnen. Dass sie dabei zu höchst unterschiedlichen Auffassungen
gelangen, liegt auf der Hand. |
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Für einen Teil der Zuhörer könnte eine solche Aussage
gleichsam als Entschuldigung für das Nichtgebrauchen des eigenen Denkvermögens
herhalten. In letzter Konsequenz kann diese Haltung dazu führen, dass
man nicht bereit ist, sich mit dem Willen Gottes zu beschäftigen,
ihn zu erforschen. Eine solche Denkweise gipfelt in der trügerischen
Annahme, dass -
wer alle Gottesdienste besucht und "seinen Platz in der Gemeinde ausfüllt"
- fest im Glauben stünde. |
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Ein weiterer Teil der Zuhörer befindet sich in einer völlig
anderen, jedoch nicht weniger verhängnisvollen Lage. Aus einseitiger
Prägung heraus sind sie gewillt, jedes "Wort vom Altar" unreflektiert
aufzunehmen, so auch die Aufforderung zum Ausschalten des Verstandes. Sie
versäumen es, das Gehörte in einen Kontext zur eigenen Haltung
zu stellen. Womöglich ist ihre Haltung gar nicht greifbar und lediglich
auf das unbewußte Denken beschränkt. Da auch der so Geprägte
von eigenen Predigt-Interpretationen nicht frei ist, gerät er unweigerlich
in innere Bedrängnis. Er versucht sich in einer zwanghaften Selbstbeschneidung
des Denkens. Als Folge bleiben seelische Konflikte auf Dauer gesehen nicht
aus. |
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In beiden Fällen wäre der Glaube ohne persönlichen Hintergrund,
ohne eigenes Bekenntnis. Die Aufforderung zum "Ausschalten des Verstandes"
als Teil einer Predigt darf deshalb nicht als generelles Schlagwort aufgefaßt
werden. Sie muss in einen konkreten Kontext zur Bedeutung des Begriffs
"Glaube" gestellt werden. Sie darf den Zuhörer nicht dazu verleiten,
seinen von Gott gegebenen Verstand nicht zu gebrauchen. Der Verstand ist
grundsätzlich notwenig, um den Inhalt der Predigt auf die eigene Wahrnehmungswelt
zu beziehen, um Gottes Wort zu erkennen und seinen Willen in die Praxis
umzusetzen. |
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Auch Bezirksapostel Studer will seine Predigt nicht falsch verstanden
wissen. Dem Magazin "Glaubenskultur" sagte er auf Anfrage, dass sich seiner
Ansicht nach Glaube und Verstand nicht im Weg stünden. Er selbst schalte
seinen Verstand nicht aus, wenn er in den Gottesdienst gehe. Seine Aussage
sei bildlich zu verstehen, denn nicht alle Dinge ließen sich mit
dem Verstand erfassen. |
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Das natürliche Spannungsverhältnis zwischen Glaube und Verstand
wird momentan in der Reihe "Lehre und Erkenntnis" der Kirchenzeitschrift
"Unsere Familie" thematisiert. In Ausgabe 09/2002 werden die Begriffe Glaube
und Verstand (bzw. Vernunft) wie folgt definiert: "Glaube bezeichnet im
allgemeinen Sprachgebrauch eine mehr oder weniger begründete Überzeugung,
ein Meinen oder Dafürhalten, das sich vom überprüfbaren
Wissen grundlegend unterscheidet. Im religiösen Spachgebrauch bedeutet
Glaube eine feste Überzeugung, die keines Beweises bedarf. (...) Verstand
meint häufig die geistige Fähigkeit insgesamt, Gegebenes zu erfassen
und zu erkennen; unter Vernunft (...) wird dagegen meist die konkrete Fähigkeit
des logischen Denkens verstanden." (Zitatende) |
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Schließlich bleibt festzustellen, dass sich Glaube und Verstand
nicht ausschließen. Ein Glaube ohne Verstand hätte keinen praktischen
Wert und würde am Leben vorbeigehen. Verstand für sich genommen
führt jedoch nicht auf die Höhe des Glaubens. Ein fester Glaube,
der letztlich durch keine objektiven Beweise abgesichert ist, lässt
sich vom Verstand her nicht vollends begründen. Hier zählen vielmehr
göttliche Weisheit, Gottvertrauen und persönliche Gotterfahrungen. |
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[cpu] 22.06.2002 |
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Steht der Verstand dem Glauben
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Verstand ausschalten? |
Was sagen Apostel Volker Kühnle,
Bezirksapostel Hagen Wend, Bezirksapostel Armin Studer und NAK-Medienreferent |
Peter Johanning? |
Einige Stellungnahmen zu einer
missverständlichen Aussage, publiziert von Glaubenskultur.de |
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glaubenskultur.de/glaube/... |
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