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24.06.2010
Alter Wein in neuen Schläuchen
Bild: privat
Kommentar zum geänderten Glaubens-
bekenntnis der Neuapostolischen Kirche
aus römisch-katholischer Perspektive,
von Dr. Christian Ruch, Mitglied der
Arbeitsgruppe »Neue Religiöse
Bewegungen und Organisationen« der
Schweizer Bischofskonferenz
D
ie Neuapostolische Kirche (NAK) hat am 6. Juni neue Glaubensartikel vorgelegt. Eigentlich hatten außen stehende Beobachter wie wohl auch viele Kirchenmitglieder
darauf gehofft, dass noch 2010 der neue Katechismus der NAK herausgegeben würde, wie dies auch des Öfteren angekündigt worden war. Doch nachdem Stammapostel Wilhelm Leber nun mitgeteilt hat, dass der neue Katechismus wohl erst »voraussichtlich Ende des Jahres 2012 erscheinen« [01] werde, muss man sich wohl zunächst an die neuen Glaubensartikel der NAK halten, um zu beurteilen, in welche theologische Richtung sich die Kirche bewegen wird und bewegen will. Damit sind die neuen Glaubensartikel auch und gerade hinsichtlich des Strebens der NAK nach einer ökumenischen Öffnung gegenüber anderen Kirchen von großer Bedeutung.
Im Folgenden möchte ich mich auf einige ihrer Widersprüche und Inkonsistenzen konzentrieren. Zunächst einmal fällt auf, dass sich die neuen von den alten Glaubensartikeln kaum zu unterscheiden scheinen, sieht man einmal von wohltuenden Anpassungen an den heute üblichen Sprachgebrauch ab. Umso wichtiger und interessanter sind die Erläuterungen der Kirchenleitung zu den Artikeln. Die ersten drei Artikel befassen sich mit dem Glauben an den dreieinigen Gott und könnten so auf den ersten Blick auch von katholischen oder evangelischen Christen mitgetragen werden.
Doch schauen wir genauer hin. Im dritten Glaubensartikel heißt es: »Ich glaube an den Heiligen Geist, die eine, heilige, allgemeine und apostolische Kirche, die Gemeinschaft der
[01] – Brief von Stammapostel Wilhelm Leber an die Mitglieder der NAK, 18.05.2010
[02] – Neuapostolische Kirche International (Hg.), »Erläuterungen zu den zehn Artikeln des neuapostolischen Glaubensbekenntnisses«, o.O. 2010, 6.
[03] – Ebd., 5.
[04] – Siehe dazu Helmut Obst, »Neuapostolische Kirche – die exklusive Endzeitkirche?«, Neukirchen-Vluyn 1996, 115ff
[05] – Erläuterungen, 6.
Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben.« Die NAK weist in ihren Erläuterungen darauf hin, dass die Formulierung »eine, heilige, allgemeine und apostolische Kirche« aus »dem Bekenntnis von Nizäa-Konstantinopel« stamme [02]. Doch was ist diese eine Kirche? »Sie ist die Versammlung derjenigen, die getauft sind, ihr Leben in der Nachfolge Christi führen und Jesus Christus als ihren Herrn bekennen.« [03] Wenn die NAK diese Aussage ernst nimmt – und das ist zu hoffen –, erkennt sich auch anderen christlichen Gemeinschaften die Auszeichnung »Kirche« zu und hat damit ihren Exklusivitätsanspruch scheinbar aufgegeben [04], was sicherlich ein großer Fortschritt und aus ökumenischer Perspektive sehr zu begrüßen wäre. So weit, so erfreulich.
Doch wie verhält es sich mit dem Attribut »apostolisch«? Gemäß NAK ist die Kirche apostolisch »in zweierlei Hinsicht, denn in ihr wird apostolische Lehre verkündigt und in ihr wirkt das apostolische Amt. Die apostolische Lehre ist die unverfälschte Botschaft von Tod, Auferstehung und Wiederkunft Christi. Das apostolische Amt ist das von Christus gegebene und vom Heiligen Geist gelenkte Apostelamt mit seinen Vollmachten. Die Apostolizität der Kirche besteht also darin, dass sie die Verkündigung der apostolischen Lehre fortsetzt und darin, dass sich das Apostelamt in gegenwärtig wirkenden Aposteln geschichtlich verwirklicht.« [05]
Eine Veröffentlichung aus dem »Materialdienst« der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungs-
fragen (EZW), Ausgabe 08/2010
ezw-berlin.de
Hier zeigt sich ein großer Unterschied zur römisch-katholischen Kirche. Zwar versteht auch sie sich als »apostolisch«, kennt jedoch keinerlei »gegenwärtig wirkende Apostel«, in denen sich „das Apostelamt (…) geschichtlich“ verwirklichen würde. Im Katechismus der Katholischen Kirche heißt es: »Die Apostel ›übertrugen, damit die ihnen anvertraute Sendung nach ihrem Tod fortgesetzt werde, ihren unmittelbaren Mitarbeitern gleichsam nach Art eines Testamentes die Aufgabe, das von ihnen begonnene Werk zu vollenden und zu festigen, wobei sie ihnen ans Herz legten, auf die gesamte Herde achtzuhaben, in die sie der Heilige Geist hineinstellte, die Kirche Gottes zu weiden. Daher setzten sie derartige Männer ein und gaben dann die Anordnung, dass nach ihrem Hingang andere bewährte Männer ihren Dienst aufnähmen‹ (LG 20). (…) ›Wie aber das Amt fortdauert, das vom Herrn in einzigartiger Weise Petrus, dem ersten der Apostel, gewährt wurde und seinen Nachfolgern übertragen werden sollte, so dauert auch das Amt der Apostel, die Kirche zu weiden, fort, das von der geheiligten Ordnung der Bischöfe immerwährend ausgeübt werden muss.‹ Darum lehrt die Kirche, ›dass die Bischöfe aufgrund göttlicher Einsetzung an die Stelle der Apostel nachgerückt sind, gleichsam
als Hirten der Kirche; wer sie hört, hört Christus, und wer sie verachtet, verachtet Christus und den, der Christus gesandt hat‹ (LG 20).« [06]
Reinhard Hempelmann hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, »dass die Apostolizität der Kirche ihre Kennzeichen« eben gerade »nicht in der Etablierung eines besonderen Apostelamtes hat«, und dies gilt für »alle ökumenisch verbundenen Kirchen«. [07] Fazit: Am fundamentalen Unterschied, was die Träger und den Charakter des apostolischen Amts betrifft, hat sich nichts geändert. Denn während die NAK weiterhin von »gegenwärtig wirkenden Aposteln« ausgeht, sind nach römisch-katholischer Auffassung »die Bischöfe aufgrund göttlicher Einsetzung an die Stelle der Apostel nachgerückt«, die das Amt quasi testamentarisch verwalten und ausführen. Daraus folgt, dass ein römisch-katholischer Christ unter einer apostolischen Kirche etwas völlig anderes versteht – verstehen muss – als die NAK. Auf diesen Punkt hinzuweisen ist sehr wichtig. Denn es gibt nach meiner sicher sehr subjektiven Beobachtung auf NAK-Seite bisweilen die Tendenz (man könnte das auch Taktik nennen), durch die Verwendung derselben Begriffe vor allem im Dialog mit Katholiken einen Konsens zu postulieren, den es aufgrund unterschiedlicher Definitionen des Begriffs – wie eben z.B. »apostolisch« – gar nicht gibt.
Das hat zur Folge, dass aus römisch-katholischer Sicht auch dem vierten neuen Glaubensartikel der NAK nicht zugestimmt werden kann. Er lautet: »Ich glaube, dass der Herr Jesus seine Kirche regiert und dazu seine Apostel gesandt hat und noch sendet bis zu seinem Wiederkommen mit dem Auftrag zu lehren, in seinem Namen Sünden zu vergeben und mit Wasser und Heiligem Geist zu taufen.«
Diese Formulierung macht deutlich, dass der vierte Glaubensartikel in einem offenkundigen Gegensatz zu den Erläuterungen hinsichtlich des dritten steht. Wie bereits erwähnt, definiert die NAK Kirche darin als »Versammlung
[06] – »Katechismus der Katholischen Kirche« (KKK), München 2005, 861f. Die Abkürzung »LG« steht für »Lumen gentium«, eines der wichtigsten Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils.
[07] – Reinhard Hempelmann, »Wie ökumenefähig ist die Neuapostolische Kirche?«, in »Materialdienst der EZW« 01/2010, 5–10
[08] – Erläuterungen, 7.
derjenigen, die getauft sind, ihr Leben in der Nachfolge Christi führen und Jesus Christus als ihren Herrn bekennen.« Im vierten Glaubensartikel wird »seine (= Jesu) Kirche« allerdings nun wieder an die Sendung von Aposteln geknüpft. In den Erläuterungen liest man dazu: »Das Apostelamt ist innerhalb der Geschichte nicht zeitlich begrenzt, es soll seine Aufgabe bis ›zu seinem [Jesu] Wiederkommen‹ erfüllen.« [08] Ja, was denn nun?, ist man geneigt zu fragen. Ist Kirche in einem inklusiven Sinne Versammlung der (und dann aller) Glaubenden und Getauften oder in einem exklusiven Sinne eine Institution, die von lebenden Aposteln geführt wird, ja sogar geführt werden muss?
Jedenfalls zeugt dieser Widerspruch ganz offensichtlich von dem Dilemma, in dem sich die NAK befindet: Einerseits wagt man eine gewisse Öffnung, indem man die Definition von Kirche sozusagen ökumenisch anschlussfähig macht, andererseits beharrt man auf der altbekannten Einschränkung, indem man den Kirchenbegriff eben doch wieder an das Apostelamt bindet und dadurch Exklusivität postuliert. Man wird den Eindruck nicht los, dass man damit seitens der NAK die Quadratur des Kreises versucht hat und progressive Kräfte sowie die Gesprächspartner anderer Kirchen auf der einen Seite genauso zufrieden stellen wollte wie konservative Kräfte im Inneren der NAK auf der anderen.
Hintergrund
Schematische Darstellung: Heilsmöglichkeiten innerhalb und außerhalb der NAK im Spiegel der neuen Glaubensartikel, zusammengestellt von Reinhard Welsch (Stand: Juni 2010)
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Von dieser auf Apostel fixierten Verengung zeugt dann auch der fünfte Glaubensartikel: »Ich glaube, dass die von Gott für ein Amt Ausersehenen nur von Aposteln eingesetzt werden, und dass aus dem Apostelamt Vollmacht, Segnung und Heiligung zu ihrem Dienst hervorgehen.« Dazu die Erläuterungen: »Wie der vierte Glaubensartikel spricht auch der fünfte von der Bedeutung des Apostelamts. Wurde im vierten Artikel der Zusammenhang von Apostelamt und rechter Lehre, Sündenvergebung sowie Sakramentsspendung herausgestellt, so geht es hier um das geistliche Amt. Gott ist es, der jemanden für ein Amt ausersieht. Von daher ist das Amt kein menschliches Werk und letztlich auch nicht das der Gemeinde, sondern es ist Gottes Gabe an seine Kirche. Der Mensch, so wird im Glaubensartikel ausgedrückt, trägt sein Amt aufgrund göttlichen Willens und nicht menschlicher Entscheidung. Verwirklicht oder umgesetzt wird dies durch das Apostelamt. Amt und Apostolat hängen unmittelbar zusammen; nur dort, wo das Apostelamt wirkt, kann es folglich auch ein geistliches Amt geben.« [09]
Diese Ausführungen machen deutlich, dass der Gemeinde als solcher offenbar keine priesterliche Funktion zugetraut wird, sondern nur von den Aposteln beauftragten Einzelpersonen. Die römisch-katholische Kirche sieht dagegen »die ganze Gemeinschaft der Gläubigen (…) als solche« als »priesterlich« an. »Durch die Sakramente der Taufe und der Firmung werden die Gläubigen ›zu einem heiligen Priestertum geweiht‹ (LG 10).« [10] Selbstverständlich kennt die römisch-katholische Kirche auch Amtspriester, deren Sendung jedoch zum einen nota bene von den Bischöfen als den Nachfolgern der Apostel und nicht angeblich heute lebenden Aposteln ausgeht und zum anderen nichts daran ändert, dass die römisch-katholische Kirche daneben auch das Priestertum der Gläubigen als Volk Gottes kennt – eine Auffassung, die in der römisch-katholischen Kirche zwar zugegebenermaßen ab und zu in Vergessenheit zu geraten droht, von der die NAK jedoch noch sehr viel weiter entfernt zu sein scheint als selbst konservativste Katholiken.
Sehr problematisch ist last but not least auch der achte Glaubensartikel: »Ich glaube, dass die mit Wasser Getauften durch einen Apostel die Gabe des Heiligen Geistes empfangen müssen, um die Gotteskindschaft und die Voraussetzungen zur Erstlingsschaft zu erlangen.« Gemeint ist damit die Gabe der »Heiligen Versiegelung oder der Geistestaufe«, eine sakramentale Handlung, die es so nur in der NAK gibt. [11]
[09] – Erläuterungen, 8.
[10] – KKK, 1546
[11] – Siehe dazu Obst (wie Anm. 4), 130ff
[12] – Erläuterungen, 11.
Umso schwerwiegender ist es, dass die Erlangung der Gotteskindschaft im Sinne von Röm 8,14–17 aus Sicht der NAK zwingend an sie gebunden ist, was im Umkehrschluss bedeutet, dass alle, die dieses Sakrament nicht kennen und daher auch nicht erfahren haben, weil sie nicht NAK-Mitglieder sind, die Gotteskindschaft verfehlen – die Formulierung »empfangen müssen« lässt eigentlich gar keinen anderen Schluss zu. In den Erläuterungen heißt es: »Gotteskindschaft ist mithin jene Situation des Menschen vor Gott, die durch den Empfang aller Sakramente, durch die rechte Predigt des Evangeliums und die Ausrichtung des Lebens auf die Wiederkunft Christi gekennzeichnet ist« [12] – »aller Sakramente« wohlgemerkt, d.h. also ebenfalls, dass ohne Versiegelung keine Gotteskindschaft zu erlangen ist und Christen außerhalb der NAK daher keine Heilsgewissheit haben können.
Wenn Helmut Obst feststellt, dass »der Exklusivanspruch der Neuapostolischen Kirche (…) eng mit der Lehre von der Versiegelung verbunden« ist [13], so gilt dies, zumindest lässt der achte Glaubensartikel keinen anderen Schluss zu, leider nach wie vor, was sich auf das Gespräch mit anderen Kirchen nicht gerade vorteilhaft auswirken dürfte. Im römisch-katholischen Verständnis geht man davon aus, dass die »pilgernde Kirche zum Heile notwendig sei. Der eine Christus nämlich ist Mittler und Weg zum Heil, der in seinem Leib, der die Kirche ist, uns gegenwärtig wird« (LG 14) [14], doch hat Kirche im römisch-katholischen Verständnis als Volk Gottes eher einen inklusiven als einen exklusiven Charakter, denn sie umfasst alle, die dem Volk Gottes »durch den Glauben an Christus und die Taufe« angehören und als »Leib Christi« eine »Gemeinschaft mit Jesus« bilden. [15]
Der Schweizer Bischof Kurt Koch spricht denn auch von der »Universalität der Kirche in der Taufe«. [16] Das heißt im Klartext gesprochen: Während neuapostolische Christen aus diesem Blickwinkel durchaus Teil der Kirche sind und damit die notwendige Voraussetzung zum Heil erfüllen, spricht die NAK allen, die ihr nicht angehören und nicht versiegelt sind, das Heil in Form der Gotteskindschaft ab. Dass dann in den Erläuterungen zu den neuen Glaubensartikeln noch spitzfindige Aussagen zur »präsentischen« und »futurischen« Auswirkung der Versiegelung gemacht werden, ist in diesem Zusammenhang nicht von Belang und vermag am höchst
[13] – Obst (wie Anm. 4), 131
[14] – KKK, 846
[15] – Ebd., 782 und ff
[16] – Kurt Koch, »Die Kirche Gottes. Gemeinschaft im Geheimnis des Glaubens«, Augsburg 2007, 19
[17] – Andreas Fincke, »Und sie bewegt sich doch! Neues von der Neuapostolischen Kirche« (EZW-Text 193), Berlin 2006, 23
problematischen Exklusivitätsanspruch der NAK nichts zu ändern.
So wird man das Gefühl nicht los, dass es sich bei den neuen Glaubensartikeln im Grunde um alten Wein in neuen Schläuchen handelt. Die NAK ist – aus welchem Grund auch immer – offenbar immer noch nicht in der Lage und/oder willens, ihren durch das Apostelamt und die Versiegelung untermauerten Exklusivitätsanspruch aufzugeben. »Und sie bewegt sich doch!«, hatte Andreas Fincke 2006 noch hoffnungsvoll geschrieben und darauf hingewiesen, dass es aus Sicht der NAK neuerdings »der Souveränität Gottes überlassen« bleibe, ob auch »unversiegelte Seelen durch einen besonderen Gnadenakt des Herrn zur Braut« Christi gehören könnten. [17] Das mag sein – doch von dieser Offenheit und in einem positiven Sinne Unentschiedenheit zeugen weder die neuen Glaubensartikel noch die dazugehörigen Erläuterungen. Eher sieht es so aus, als hätten die konservativen Kräfte innerhalb der NAK im Moment die Oberhand. Die neuen Glaubensartikel und die dazugehörigen Erklärungen lassen jedenfalls – leider – kaum einen anderen Schluss zu.
Dr. Christian Ruch, 24.06.2010
Eine Veröffentlichung aus dem »Materialdienst« der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW), Ausgabe 08/2010 (ezw-berlin.de). Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors.
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