|
. |
09.08.2004 |
Neues Buch reflektiert Öffnungsprozess |
. |
Die im Oktober 2003 abgeschlossene Magisterarbeit „Neuere Entwicklungen
in der Neuapostolischen Kirche – Eine Dokumentation des Öffnungsprozesses“
von Katja Rakow ist in aktualisierter und erweiterter Form nun auch als
Buch erschienen. Die Autorin ist Religionswissenschaftlerin mit Lehrauftrag
an der Freien Universität Berlin und nach eigenem Bekunden nicht konfessionell
gebunden. Die dem Buch zu Grunde liegende Examensarbeit wurde im Februar
2004 mit dem Rudolf-Virchow-Förderpreis der Berliner Gesellschaft
für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, einer mit 500 Euro
dotierten Auszeichnung für hervorragende Magister- und Diplomarbeiten,
gewürdigt. |
. |
In der Einleitung ihres Buches bringt die Autorin zum Ausdruck, dass
sie mit der Veröffentlichung dazu beitragen möchte, eine Forschungslücke
zu schließen. Hinsichtlich der gegenwärtigen Situation der Neuapostolischen
Kirche sei ein Mangel an religionswissenschaftlicher Forschung zu erkennen
– und dies, obwohl die neueren Entwicklungen geradezu zu einer aktuellen
Beschäftigung mit der Religionsgemeinschaft herausforderten. Bisherige
Publikationen zur NAK stammten fast ausschließlich von Theologen,
die sich vorrangig mit der Geschichte befassten oder sich aus theologisch-apologetischer
Perspektive mit der neuapostolischen Lehre auseinander setzten, während
die Veränderungen der letzten Jahre nur am Rande berührt wurden.
In diesen Schriften sei ein Bild der Religionsgemeinschaft konserviert,
das ihrer heutigen Situation nicht (mehr) gerecht werde. Bei allem sei
aber auch zu bedenken, dass es sich bei der in dem Buch konstatierten „Öffnung“
um einen anhaltenden Prozess handele, der noch nicht abgeschlossen sei
und auch in absehbarer Zukunft nicht beendet sein dürfte. |
. |
Zu den jüngsten Entwicklungen äußert sich Katja Rakow
einleitend: „Man wird sagen dürfen, dass der Entschluss zu einer Öffnung
und die damit verbundene Bereitschaft, sich auf einen öffentlichen
Dialog einzulassen und somit auch kritische Stimmen zu billigen, für
eine bisher zurückgezogen und abgeschlossen lebende Religionsgemeinschaft
wie die NAK einen enormen Schritt bedeutet. Die bisherigen Grenzziehungen
zwischen innen und außen werden durch die Öffnung nicht in gleichem
Maße aufrecht erhalten zu sein. Sich öffnen heißt nicht
nur einen Blick nach innen zuzulassen, sondern auch den Blick nach außen
freizugeben. Dieser Öffnungsprozess wirkt zurück auf die Gemeinschaft,
wodurch sich veränderte Bedingungen für das religiöse Leben
der NAK ergeben.“ [01] |
. |
Öffnung nur in kleinen Schritten möglich |
. |
Die veränderte Situation sei nicht ohne Folgen geblieben und schlage
sich in bestimmten Entwicklungen nieder. Die Autorin versucht, das aktuelle
Geschehen in seinen Voraussetzungen und Wirkungen zu dokumentieren. Es
soll gezeigt werden, dass Religionsgemeinschaften keine starren Gebilde
sind, die sich gesellschaftlichen Prozessen auf Dauer entziehen können,
wenn sie weiter bestehen oder überleben wollen. Die Entwicklungen
der letzten Jahre hätten zum Teil eine innerkirchliche Kritik ermöglicht
und kritische Mitglieder ermutigt, sich für Reformen stark zu machen.
Es seien ganz klar Veränderungen erkennbar, zugleich aber auch ein
Ringen darum, bei aller Veränderung die eigene Identität als
„Neuapostolische Kirche“ zu bewahren. |
. |
Die grundlegende Schwierigkeit des Öffnungsprozesses sei darin
zu sehen, die verschiedenen Strömungen innerhalb der NAK zu berücksichtigen,
also eine Spaltung zwischen einem konservativen, traditionell orientierten
Flügel einerseits und den reformbereiten und progressiven Kräften
andererseits zu vermeiden. Dementsprechend sei in diesem Prozess ein ganz
entscheidendes Anliegen der Kirchenleitung darin zu sehen, die Einheit
und Identität der Kirche zu wahren. Dies bedeute auch, dass bestimmte
Glaubensinhalte beibehalten werden müssten, wenn die NAK nicht ihre
eigene Identität verlieren wollte. Eine Öffnung sei deshalb nur
in kleinen Schritten durchführbar, damit sie von allen Strömungen
mitgetragen werden könne. |
. |
Kritik von außen nach innen verlagert |
. |
In der Sekten-Debatte der 90er Jahre und den von ehemaligen Mitgliedern
von außen an die Gemeinschaft herangetragenen Vorwürfen sieht
die Autorin eine wesentliche Voraussetzung für den Öffnungsprozess.
Diese Ereignisse hätten die NAK zu einer Reaktion veranlasst. Seit
Ende der 80er Jahre häuften sich Medienberichte, in denen das Bild
einer ethisch von gesellschaftlichen Normen abweichenden Religionsgemeinschaft
gezeichnet wurde. War der früher meist theologisch begründete
Dissens unter Umständen noch mit dem Selbstbild der NAK vereinbar,
so sei der aufkommende säkulare Sekten-Vorwurf und die damit assoziierte
Gefahr für die Gesellschaft und die einzelnen Mitglieder nicht mehr
zu billigen gewesen. Aus der Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung
habe sich für die Gemeinschaft die Handlungsnotwendigkeit ergeben,
selbst in den Diskurs einzutreten. Die Bestrebungen seitens der NAK, bestimmte
Lehraussagen zu modifizieren, Praktiken zu ändern oder Neuerungen
umzusetzen, müssten daher als direkte Reaktion auf die von außen
kommunizierten Vorwürfe verstanden werden. |
. |
Inzwischen habe eine Verschiebung hin zu einer vermehrten kritischen
Auseinandersetzung im Inneren stattgefunden. Man könne davon ausgehen,
so die Einschätzung von Katja Rakow, dass die weitere Entwicklung
der NAK weitaus mehr durch Forderungen nach Veränderungen aus den
eigenen Reihen beeinflusst sein wird als durch Vorwürfe, die von außen
an sie herangetragen werden. |
. |
Unabhängige Informationen unumgänglich |
. |
Im Rahmen ihrer Forschungsarbeit hat sich die Autorin über Jahre
hinweg intensiv mit Materialien und Quellen beschäftigt. Neben den
offiziellen Veröffentlichungen der Kirchenleitung, den einschlägigen
kirchengeschichtlichen Betrachtungen und der gängigen Aussteigerliteratur
beobachtete sie auch unabhängige Informationsmedien, die auf Eigeninitiative
von Mitgliedern der NAK publiziert werden. Von besonderer Bedeutung seien
hier die Internetplattformen glaubenskultur.de
und naktuell.de,
„die sich um eine kritische, jedoch nicht destruktive Berichterstattung
rund um die NAK bemühen, betrieben von Mitgliedern, die nicht einfach
enttäuscht ihrer religiösen Heimat den Rücken kehren wollen,
sondern vielmehr aktiv für Reformen und Veränderungen eintreten
und die Kirche, die sie (auch) auch als ihre Kirche verstehen, mitgestalten
wollen.“ [02] Ein Rückgriff
auf diese Informationen sei unumgänglich, wenn ein plastisches Bild
der gegenwärtigen Situation gezeichnet werden solle. |
. |
Entscheidungen nachvollziehbar machen |
. |
In der mangelhaften Informationsvermittlung von offizieller Seite sieht
Katja Rakow folgerichtig einen entscheidenden Schwachpunkt des Öffnungsprozesses:
„Um zu erreichen, dass jeder neuapostolische Christ diesen Prozess mit
vollziehen kann, ist die Informationspolitik der Kirchenleitung gefordert.
Ihre Schritte und Entscheidungen müssen auch für die Mitglieder
an der Basis einsichtig und nachvollziehbar werden.“ [03]
Derzeit seien diesbezüglich noch Defizite vorhanden. Außerdem
sei zu bedenken: „Solange sich die in persönlichen oder offiziellen
Gesprächen gegebenen Antworten nicht in offiziellen, für die
gesamte NAK gültigen Verlautbarungen wiederfinden, solange die Aussagen
(ob nun bewusst oder nicht) widersprüchlich oder uneindeutig sind,
solange man der Kirchenleitung also Täuschungsversuche oder Ausweichmanöver
unterstellen kann, bleiben nicht nur bei den Gläubigen Unsicherheit
und Skepsis bestehen.“ [04] |
. |
Im letzten Teil ihrer Ausarbeitung stellt die Autorin fest: „Wenn man
das bisherige Geschehen betrachtet, so wird deutlich, dass es in vielen
Bereichen Bewegung gibt und die Veränderungsprozesse anhalten. Diese
Bewegung gleicht oft jedoch eher einem Lavieren und es entsteht geradezu
der Eindruck, die Kirchenleitung versuche zu vermeiden, sich auf bestimmte
Aussagen festzulegen.“ [05]
Viele Formulierungen seien durch eine gewisse Uneindeutigkeit gekennzeichnet
oder würden deutlich den Charakter eines Kompromisses tragen. Die
Aussagen seien möglichst vage formuliert und gleichsam durch einen
„doppelten Boden“ gesichert. Auf diese Weise sei sowohl eine traditionelle,
konservative Lesart wie eine progressive, liberale Lesart möglich.
Durch diese Vagheit werde den Aussagen natürlich ihre Aussagekraft
genommen, was vermehrt zu Unsicherheit und Unmut unter den Gläubigen
führe. |
. |
Spagat zwischen alten und neuen Positionen |
. |
Die Uneindeutigkeit stünde überdies im Widerspruch zu dem
eigenen Anspruch, die neuapostolische Identität für jeden erkennbar
und unverwechselbar präsentieren zu wollen. So habe der amtierende
Stammapostel versichert, dass auch bei der Bereitschaft zur Öffnung
und zum gesellschaftlichen Dialog die wesentlichen Glaubensinhalte nicht
aufgegeben werden sollen. Aber gerade in den Kernelementen ihres religiösen
Profils sei der NAK vor allem von konfessionellen Kritikern stets Devianz,
d.h. sektiererische Abweichung in der Lehre, attestiert worden. Es verwundere
nicht, dass die Kirchenleitung derzeit einen „Spagat“ versuche, um bei
einer Relativierung bestimmter Glaubensaussagen gleichzeitig ihr spezifisch
neuapostolisches Profil bewahren zu können. Sie sei bemüht, ihre
Identität zu wahren und dennoch Schritte in die von den Kritikern
innen und außen geforderte Richtung zu gehen. |
. |
Katja Rakow kommt in ihrer Betrachtung dieser besonderen Problematik
zu dem Schluss: „Die geforderten Veränderungen kämen in vielen
Punkten einer radikalen Veränderung des Glaubensfundamentes und der
Organisationsstruktur gleich. Daher können Veränderungen eigentlich
nicht im Kern, sondern nur in der Peripherie erfolgen. Wenn die Religionsgemeinschaft
Veränderungen in dieser radikalen Weise vollziehen würde, käme
dies einem Identitätsverlust gleich.“ [06]
Dies impliziere aber nicht, dass tiefgreifende Veränderungen ausgeschlossen
seien. Jedoch könnten Reformen, die die Substanz der NAK berühren,
nicht innerhalb von einigen Jahren erfolgen, sondern würden sich nur
langsam vollziehen. |
. |
Sachliche und vorurteilsfreie Betrachtung |
. |
Das Buch liefert eine Fülle fundierter Informationen und zeichnet
sich durch sachliche Einschätzungen und umfangreiche, gut nachvollziehbare
Quellenangaben aus. Die Ausarbeitung besticht weiterhin durch ihren aktuellen
Bezug. Bei der Darstellung neuerer Entwicklungen wurden Ereignisse bis
April/Mai dieses Jahres berücksichtigt. Der Inhalt wird dem Titel
des Buches („Neuere Entwicklungen in der Neuapostolischen Kirche“) also
durchaus gerecht. Im Anhang finden sich weitere interessante Zusatzinformationen,
zum Beispiel Fragebögen, die von Andrea Schnizer (verantwortliche
Redakteurin der Jugendzeitschrift „Spirit“), Peter Johanning (Medienreferent
der NAK International) und Michael Koch (Redaktion Glaubenskultur) beantwortet
wurden. Die kurze Abhandlung zur geschichtlichen Entwicklung orientiert
sich im wesentlichen an den einschlägigen Darstellungen von Prof.
Helmut Obst (1996/2000) und Dr. Johannes Albrecht Schröter (1998),
berücksichtigt aber auch spezifische Angaben aus eigenen Quellen der
NAK. |
. |
Die ausführliche Beschäftigung mit der gegenwärtigen
Situation in der Neuapostolischen Kirche aus religionswissenschaftlicher
Sicht macht dieses Buch in seiner Form einzigartig. Die Art und Weise der
Darstellung kann als konsequent sachlich, differenziert und vorurteilsfrei
bezeichnet werden. Das Buch ermöglicht sowohl NAK-Mitgliedern als
auch Außenstehenden eine unbefangene Auseinandersetzung mit dem begonnenen
inneren und äußeren Wandel einer ehemals stark zurückgezogen
lebenden Glaubensgemeinschaft. Die erste Auflage von wenigen hundert Exemplaren
dürfte wegen der zu erwartenden Nachfrage innerhalb kurzer Zeit vergriffen
sein. |
. |
Christian
Puffe, 09.08.2004 |
. |
Artikel
im Forum kommentieren |
. |
[01] – Katja Rakow: „Neuere
Entwicklungen in der Neuapostolischen Kirche – |
Eine Dokumentation des Öffnungsprozesses“,
Weißensee-Verlag Berlin, ISBN |
3-89998-036-0, Seite 10
| Bestell-Informationen: weissensee-verlag.de |
[02] – ebd. Seite 45 |
[03] – ebd. Seite 95 |
[04] – ebd. Seite 76 |
[05] – ebd. Seite 111 |
[06] – ebd. Seite 112 |
|
. |
Zur Person |
|
|
|
Bild:
privat |
|
Katja Rakow, geboren 1977; |
1997–2003: Studium der Religionswissenschaft, Ethnologie
und Soziologie an der Freien Universität Berlin; 2002–2003: Mitarbeit
am Projekt „Religion in Berlin“; 2003: Magisterarbeit zum Thema „Neuere
Entwicklungen in der Neuapostolischen Kirche – Eine Dokumentation des Öffnungsprozesses“; |
2004: Auszeichnung mit dem Rudolf-Virchow-Förderpreis;
Lehrauftrag am Institut für Religionswissenschaft der FU Berlin. |
. |
Literatur |
|
Katja Rakow: „Neuere Entwicklungen in der Neuapostolischen
Kirche – Eine Dokumentation des Öffnungsprozesses“, Weißensee
Verlag, |
Berlin 2004, 144 Seiten, |
ISBN 3-89998-036-0, |
Preis: 24,80 €. |
|
Bestell-Informationen: |
weissensee-verlag.de |
. |
|
. |
Newsletter |
|
Möchten Sie regelmäßig
über neue Themen und |
alle wichtigen Änderungen
auf naktuell.de informiert |
werden? Tragen Sie Ihre E-Mail
Adresse in den kostenlosen Verteiler ein! |
|
Newsletter
bestellen |
|