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04.08.2008 |
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»Ist die Neuapostolische
Kirche eigentlich |
noch eine Sekte?« |
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Über den »schwierigen Reformprozess |
in der Neuapostolischen Kirche« hat sich |
Dr. Christian Ruch Gedanken gemacht. |
Der Historiker und Soziologe, der |
Mitglied der katholischen Arbeitsgruppe |
»Neue religiöse Bewegungen« der |
Schweizerischen Bischofskonferenz ist, |
hat in den vergangenen Jahren auch |
für die in Berlin ansässige »Evangelische |
Zentralstelle für Weltanschauungsfragen« |
über aktuelle Entwicklungen in der NAK |
berichtet und diese analysiert. |
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GAST-BEITRAG |
VON DR. CHRISTIAN RUCH |
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I |
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n seinem posthum veröffentlichten Buch »Die Religion der
Gesellschaft« schrieb der Soziologe Niklas Luhmann: »Der moderne
Individualismus wird an die Religion von |
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außen herangetragen und macht ihr zu schaffen.«
Was das konkret bedeuten kann, lässt sich derzeit in der Neuapostolischen
Kirche (NAK) beobachten, die sich schon seit einigen Jahren in einem ebenso
spannenden wie schwierigen Reformprozess befindet. Schon der inzwischen
pensionierte »Stammapostel« Richard Fehr hatte einen Öffnungsprozess
eingeleitet, der von seinem seit 2005 amtierenden Nachfolger Wilhelm Leber
fortgesetzt und sogar noch intensiviert wird. Doch was, so könnte
man fragen, geht diese Entwicklung eigentlich die anderen Kirchen an? |
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Zum einen zählt die NAK mit rund 370.000 Mitgliedern zu den größeren
deutschen Glaubensgemeinschaften, ist also nicht nur irgendein Grüppchen
unter vielen, zum andern ist |
es ihr erklärtes Ziel, »ökumenefähig« zu
werden. Dieses Ansinnen führt in landeskirchlichen Gemeinden bisweilen
zu Irritationen und wirft Fragen auf: Wie etwa soll man reagieren, wenn
die NAK-Gemeinde vor Ort, die man stets als sehr verschlossen und zurückgezogen
erlebt hat, plötzlich anfragt, ob ihr Chor in der evangelischen Kirche
ein Weihnachtskonzert geben darf? |
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Dass der Informationsbedarf in Sachen NAK auf lokaler Ebene sehr hoch
ist, zeigte sich am Stand der »Evangelischen Zentralstelle für
Weltanschauungsfragen« (EZW) anlässlich des letzten Kirchentags
in Köln. Dort zählte die NAK zu den am häufigsten thematisierten
Gemeinschaften, typisch waren Fragen wie »Sagen Sie mal, ist das
eigentlich noch eine Sekte?« |
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Rigide Strukturen werden zunehmend infrage gestellt |
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Was man wohl sagen kann: Zumindest ist die NAK ihr Sektenimage leid
– überall auf der Welt werde sie als Kirche wahrgenommen, nur nicht
in Europa, klagte »Stammapostel« Fehr anlässlich der Pressekonferenz
zur Amtsübergabe an Nachfolger Leber. Das große Vorbild der
NAK sind ganz offensichtlich die »Siebenten-Tags-Adventisten«,
die sich so weit »entsektet« und zu einer Freikirche entwickelt
haben, dass sie mittlerweile Gaststatus in der »Arbeitsgemeinschaft
christlicher Kirchen« (ACK) genießen und auf dem »Markt
der Möglichkeiten« evangelischer Kirchentage mit eigenen Ständen
vertreten sein dürfen. |
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Der NAK-Leitung ist durchaus bewusst, dass die Gemeinschaft an ihrem
Sektenimage zu einem erheblichen Teil selbst schuld ist. Sie habe sich,
so Fehr, in den sechziger und siebziger Jahren zu sehr in einer »Igelposition«
befunden. Ausschlaggebend für die Einstufung als Sekte waren jedoch
vor allem die rigiden Strukturen innerhalb der NAK, die selbst vor einer
Kontrolle des Privatlebens ihrer Mitglieder nicht zurückschreckte. |
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Doch diese Strukturen werden zunehmend in Frage gestellt – einerseits
vor allem von der jüngeren Generation in den eigenen Reihen, andererseits
aber auch von ehemaligen Mitgliedern, die über eine exzellente Vernetzung
im Internet verfügen. Wie die Führung der NAK selbst zugibt,
haben die Aussteiger damit immer wieder für erhebliche Unruhe gesorgt
und nicht unwesentlich zur Einsicht in die Notwendigkeit von Reformen beigetragen.
Zunächst hatte die NAK allerdings versucht, das Rumoren auszusitzen
und Kritik, wie sie etwa von dem ehemaligen NAK-Pfarrer (Priester der NAK,
Anm. d. Red.) Siegfried Dannwolf in seinem Buch »Gottes verlorene
Kinder« geäußert wurde, zu ignorieren. |
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Erst ganz allmählich zeigte sich die Kirchenleitung bereit, zu
den strittigen Fragen Stellung zu nehmen und Reformen einzuleiten. So wurde
etwa die Überwachung des Privatlebens durch unangemeldete Hausbesuche
dahingehend gelockert, dass die Amtsträger der NAK ihre Gemeindemitglieder
jetzt nur noch nach vorheriger Anmeldung aufsuchen sollen. |
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Richard Fehr |
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Bild:
Archiv |
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Die »Stammapostel« Fehr und Leber haben es auch immer wieder
verstanden, durch das Setzen symbolträchtiger Zeichen ihre Reformbereitschaft
zu bekunden. Früher wäre es undenkbar gewesen, dass der »Stammapostel«
dem Vatikan zum Tod des Papstes sein Beileid und zur Wahl des neuen seine
Gratulation ausspricht. Dass er dies tat, habe ihm in den eigenen Reihen
viel Anerkennung, aber auch herbe Kritik eingetragen, berichtete Fehr.
Einige Mitglieder hätten ihm »Verrat« vorgeworfen und
ihn gefragt, ob sie nun ihren Glauben begraben sollten. Ebenso undenkbar
wäre es gewesen, dass sich ein »Stammapostel«, wie Wilhelm
Leber dies im Juni 2006 tat, einem Interview des evangelikalen Magazins
»idea Spektrum« gestellt und sich dabei wohltuend selbstkritisch
gezeigt hätte. So kam es, dass der NAK in den letzten Jahren insgesamt
ein gutes Zeugnis ausgestellt |
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wurde: »Und sie bewegt sich doch!«, lautete etwa der Titel
einer EZW-Publikation des NAK-Experten Andreas Fincke. |
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Allerdings dürfen alle Bekenntnisse zu Reform und Selbstkritik
nicht darüber hinweg täuschen, wie schwierig und tückisch
der ganze Prozess für die NAK ist. Dies liegt vor allem in der Natur
ihres Selbstverständnisses begründet: Die NAK versteht sich –
zumindest war dies bisher der Fall – als die einzige Kirche, in der die
Tradition der »apostolischen Urkirche« gewahrt sei, so dass
sie, wie es der NAK-Kenner Prof. Helmut Obst formulierte, als »Heilsmittlerin
im umfassenden Sinn und (…) exklusiv als alleinige wahre Kirche Jesu Christi
in der Endzeit« wirke. |
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Im Glaubenbekenntnis der NAK heißt es: »Ich glaube, dass
der Herr Jesus seine Kirche durch lebende Apostel regiert bis zu seinem
Wiederkommen, dass er seine Apostel gesandt hat und noch sendet mit dem
Auftrag, zu lehren, in seinem Namen Sünden zu vergeben und mit Wasser
und dem Heiligen Geist zu taufen. Ich glaube, dass sämtliche Ämter
in der Kirche Christi nur von Aposteln erwählt und in ihr Amt eingesetzt
werden und dass aus dem Apostelamt Christi sämtliche Gaben und Kräfte
hervorgehen müssen, auf dass, mit ihnen ausgerüstet, die Gemeinde
ein lesbarer Brief Christi werde.« Damit kommt den Aposteln, insbesondere
aber dem »Stammapostel« eine Bedeutung zu, die kaum überschätzt
werden kann. Er ist die »oberste geistliche Autorität«
und galt lange, d.h. zumindest bis 1998 als »Repräsentant des
Herrn auf Erden«. Allen, die das nicht so sehen, wurde mit einer
recht ausgeprägten Überheblichkeit begegnet: »Es gibt sicher
Menschen«, erklärte ein »Apostel« noch im Sommer
1998, »die können im Stammapostel (…) den Herrn Jesus nicht
erkennen. Aber das liegt an ihnen.« |
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Können »Stammapostel« irren? |
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Johann Gottfried Bischoff |
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Bild:
Archiv |
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Peter Kuhlen |
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Bild:
Archiv |
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Doch natürlich sind auch »Stammapostel«
(nur) Menschen – was |
also, wenn einem »Stammapostel« Fehler
unterlaufen? Genau um diese Frage ist innerhalb der NAK bzw. zwischen ihr
und den ehemaligen Mitgliedern eine heftige Debatte entbrannt. Als der
»Stammapostel« Johann Gottfried Bischoff zu Weihnachten 1951
verkündete, dass Jesus noch zu seinen Lebzeiten wiederkommen werde,
irrte er sich ganz offensichtlich, denn Bischoff starb, ohne dass sich
die Wiederkunft Christi ereignet hätte. Die NAK rechtfertigte diesen
Lapsus immer damit, dass Gott seine Pläne offenbar geändert habe.
Von einem Irrtum Bischoffs auszugehen lag jenseits aller Vorstellungskraft.
»Stammapostel« Fehr erklärte noch 1995: »Wir halten
daran fest, dass der Stammapostel sich nicht geirrt hat.« |
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Umso mehr erhofften sich die Reformkräfte
innerhalb und die Kritiker außerhalb der NAK eine Revision der Bewertung
von Bischoffs Prophezeiung. Dies schon deshalb, weil es in der Amtszeit
Bischoffs zu einer der größten Abspaltungen in der NAK gekommen
war. Der »Stammapostel« hatte 1955 einen seiner Kritiker, den
rheinländischen »Bezirksapostel« Peter Kuhlen, ausgeschlossen,
doch waren Kuhlen 25.000 NAK-Mitglieder gefolgt und hatten eine eigene
apostolische Gemeinschaft gegründet. Der Riss, den dieses Schisma
verursachte, verlief quer durch viele neuapostolische Familien und hinterließ
großes persönliches Leid. |
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Am 4. Dezember 2007 präsentierte die 1999 eingerichtete AG »Geschichte
der Neuapostolischen Kirche« (GNK) unter Leitung des |
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»Apostels« Walter Drave an einem sogenannten »Informationsabend«
in Zürich die mit Spannung erwartete Aufarbeitung der damaligen Ereignisse.
Doch was als Schritt zur Versöhnung gedacht war, geriet mehr oder
weniger zu einem Fiasko. |
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Denn im Bericht der GNK wurde u. a. behauptet: »Die fehlende
Ausrichtung einiger Apostel am Stammapostel ist (…) als eine der tieferen
Ursachen der Konflikte zu betrachten. (…) Die Botschaft des Stammapostels
Bischoff (…) ist nicht die Ursache für die oben beschriebenen Probleme.
(…) Die Verantwortlichkeit für die Entwicklung und Probleme sowie
die daraus resultierenden Folgen der Neuapostolischen Kirche von 1938 bis
1955 tragen im Wesentlichen einige Apostel, deren Ausrichtung auf den Stammapostel
und deren Zusammenarbeit mit ihm defizitär waren.« Die GNK versuchte
also zu belegen, dass nicht sein kann, was nicht sein darf: Nicht »Stammapostel«
Bischoff trug die Schuld an den Zerwürfnissen, sondern seine Kritiker,
allen voran der geächtete Peter Kuhlen. |
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Angesichts einer solchen Interpretation konnte der Sturm der Entrüstung
nicht lange auf sich warten lassen und er fiel heftig aus: In den Internet-Foren
der NAK-Kritiker und -Aussteiger überschlugen sich die wütenden
Reaktionen, doch auch treue Kirchenmitglieder reagierten mit Fassungslosigkeit
und Entsetzen. So hätten einige Mitglieder die Übertragungsräume,
in denen der Informationsabend weltweit mitverfolgt werden konnte, vorzeitig
verlassen, auch sei es zu Kirchenaustritten und Amtsniederlegungen gekommen.
Der ehemalige niederländische »Apostel« Gerrit J. Sepers,
der sein Amt 2004 niedergelegt hatte, schrieb: »Ich schäme mich
unendlich für dieses Verhalten der obersten neuapostolischen Kirchenleitung
an diesem Abend. (…) Diese Kirche ist nicht mehr meine Kirche.« Und
selbst der stets um Fairness bemühte Helmut Obst stellte fest, dass
»eine solche Urteilsbildung (…) sprachlos machen« könne,
und fragte: »Warum jetzt diese Studie mit dieser Rechtfertigung des
umstrittenen neuapostolischen Stammapostels und seiner stammapostolischen
Theokratie?« |
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Die eigene Geschichte aufarbeiten |
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Wilhelm Leber |
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Bild:
NAKI [M] |
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Ganz offensichtlich rächte es sich jetzt, dass die GNK keine externen
Historiker hinzugezogen hatte, die vielleicht zu einem ausgewogeneren Urteil
beigetragen hätten, und dass – wie Sepers monierte – auch die einschlägige
Literatur offenbar unberücksichtigt geblieben war. Auch auf die sicherlich
sehr wertvolle Befragung von Zeitzeugen hatte man verzichtet. Erschrocken
musste die Leitung der NAK um »Stammapostel« Leber feststellen,
dass mit dem missglückten Informationsabend ein immenser Flurschaden
angerichtet worden war, der u.a. dazu führte, dass der Rücktritt
Draves vom Amt des Leiters der GNK gefordert wurde und die »Apostel«
und Bischöfe der »Vereinigung Apostolischer Gemeinden in Europa«
(VAG), jener durch den Ausschluss Peter Kuhlens entstandenen Abspaltung
von der NAK, ihren Dialog mit dieser für beendet erklärten. |
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Einmal mehr setzte »Stammapostel« Leber deshalb auf die
Überzeugungskraft deutlicher Zeichen und traf sich mit dem Sohn Peter
Kuhlens zu einem Gespräch. Außerdem appellierte er an die VAG,
die »Entscheidung zum Abbruch der gemeinsamen Gespräche zu überdenken.
Ich versichere Ihnen, dass es uns tatsächlich darum geht, die Wahrheit,
soweit überhaupt möglich, herauszufinden und uns ihr zu stellen.
Eine Verweigerungshaltung hilft jetzt, wie ich meine, nicht weiter.« |
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Das Dilemma der NAK ist offenkundig: Wenn sie sich nicht deutlich von
der Prophezeiung Bischoffs distanziert, wäre das für ihre Kritiker
und die reformwilligen Kräfte innerhalb der Kirche der Beweis, dass
sie zu Reformen nicht willens und/oder fähig ist – kommt es jedoch
zu einer Distanzierung, besteht angesichts der jahrzehntelangen Rechtfertigung
die Gefahr, dass die NAK nicht nur das bisher sakrosankte Amt des »Stammapostels«
diskreditiert, sondern auch jene, v.a. ältere Mitglieder desavouiert,
die stets bereit waren, die Rechtfertigung Bischoffs gegen alle Kritik
mitzutragen. |
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»Stammapostel« Leber weiß um diese unbequeme Lage
seiner Kirche, dennoch sieht es so aus, als leite er eine behutsame Distanzierung
von Bischoff ein: Im bereits erwähnten Interview mit »idea Spektrum«
meinte er auf die Frage »War es eine falsche Prophetie [Bischoffs]?«,
dass er kein »abschließendes Urteil fällen« wolle.
»Vielleicht hat Stammapostel Bischoff etwas falsch gedeutet, oder
es wurden Bedingungen genannt, die wir nicht kennen.« Darüber
hinaus hat die Kirchenleitung begriffen, dass sie in der Aufarbeitung der
eigenen Geschichte und deren Vermittlung sorgfältiger vorgehen muss. |
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Im März 2008 schrieb Leber in der NAK-Zeitschrift »Unsere
Familie«: »Wir sollten uns hüten, zu schnell und einseitig
Schuldzuweisungen vorzunehmen. Und es ist immer nötig, miteinander
zu reden. (…) Es ist mir ernst mit dem Willen zur Versöhnung.«
Die Kirche will jetzt auch externen Historikern anbieten, das von der GNK
eingesehene Archivmaterial einzusehen und für eigene Forschungsprojekte
auszuwerten. Ob dies ausreichen wird, ist allerdings fraglich, denn es
wäre im Interesse der Glaubwürdigkeit des ganzen Aufarbeitungsprozesses
dringend erforderlich, auch innerhalb der GNK Historiker beizuziehen, deren
Blick nicht durch neuapostolische Scheuklappen behindert wird. |
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Nun könnte man die Frage nach der Einordnung des »Stammapostels«
Bischoff und seiner Prophezeiung getrost der NAK oder religionsgeschichtlich
interessierten Historikern überlassen, hätte das Ganze nicht
wie bereits erwähnt auch eine ökumenische Dimension: Denn an
der Frage, wie die Ära Bischoff bewertet wird, wird sich entscheiden,
ob es der NAK möglich ist, ihre Überhöhung der »Stammapostel«
als »heilsnotwendige« Institution und damit ihre Exklusivität
aufzugeben, um sich als »ökumenefähig« zu erweisen. |
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Dass sie sich damit nach wie vor äußerst schwer tut, zeigte
sich im April 2006 in Hamburg, als drei Diakone der Gemeinde Blankenese
ihres Amtes enthoben wurden, weil sie es gewagt hatten, die Exklusivität
der NAK in Frage zu stellen. Doch trotz solcher Rückschläge im
Reformprozess sind die ökumenischen Gespräche inzwischen ein
gutes Stück vorangekommen. |
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Wie weit kann die ökumenische Zusammenarbeit
gehen? |
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1999 hatte die NAK-Leitung eine Projektgruppe »Ökumene«
ins Leben gerufen, woraus sich Gespräche mit der ACK Baden-Württemberg
sowie ein vergleichbarer Dialog in der Schweiz ergaben. Dieser Dialog mündete
in eine von der ACK Baden-Württemberg herausgegebene »Orientierungshilfe«
(Download im Internet unter: http://ack.drs.de). |
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Das Papier befasst sich mit ganz praktischen Fragen für das Gemeindeleben
vor Ort, will also landeskirchlichen Gemeinden helfen, der NAK in angemessener
Weise zu begegnen. Zur Frage der gegenseitigen Taufanerkennung heißt
es: »Die NAK anerkennt seit Anfang 2006 die in christlichen Kirchen
gespendeten Taufen, vorausgesetzt, dass diese rite, d.h. im Namen des dreieinigen
Gottes und mit Wasser vollzogen wurden. Eine zusätzliche Bestätigung
der Taufe durch einen Apostel der NAK ist danach für die Gültigkeit
nicht mehr erforderlich. Unverändert bleibt aus Sicht der NAK jedoch
die Zuordnung der Taufe zum Sakrament der Heiligen Versiegelung. Danach
ist die Taufe ›die erste und grundlegende Gnadenmitteilung des dreieinigen
Gottes an den Menschen‹, sie führt in ›ein erstes Näheverhältnis
zu Gott‹; erst gemeinsam mit der Heiligen Versiegelung bewirkt sie ›die
Wiedergeburt aus Wasser und Geist‹ und damit die Gotteskindschaft. In vielen
Mitgliedskirchen der ACK in Baden-Württemberg ist deshalb die Übernahme
eines Patenamtes durch ein Mitglied der NAK nicht möglich. Umgekehrt
anerkennen die meisten Mitgliedskirchen der ACK die Taufe der NAK, weil
sie rite (…) vollzogen ist.« Hinsichtlich gemeinsamer Veranstaltungen
wird festgehalten, dass man zwar »die guten nachbarschaftlichen Beziehungen
zum Ausdruck bringen, aber nicht den Eindruck eines ökumenischen Miteinander
erwecken« sollte, »auf das hin die Kirchen erst noch unterwegs
sind.« |
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Daher sind »gemeinsame Gottesdienste und Segenshandlungen (…)
von beiden Seiten her nicht möglich. Die NAK räumt aber inzwischen
bei bestimmten Anlässen (z.B. Taufen, Trauungen, Trauerfeiern) die
Möglichkeit ein, dass sich außerhalb der eigentlichen Segenshandlung
ein Geistlicher/Pastor anderer Kirchen und christlichen Gemeinden beteiligt,
und zwar in Form eines Gebetes, eines Grußwortes oder der Übermittlung
von Segenswünschen. Wenn Gläubige einer ACK-Mitgliedskirche um
diese Beteiligung bitten, um ihrer eigenen Kirchenzugehörigkeit Ausdruck
zu geben, sollte dieser Bitte entsprochen werden. Wenn in vergleichbarer
Weise Geistliche der NAK bei Gottesdiensten der ACK-Mitgliedskirchen mitwirken
wollen, ist dies aus besonderen seelsorglichen Gründen am Ende oder
außerhalb der liturgischen Handlung denkbar.« |
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Und zur Frage von Ehen zwischen landeskirchlichen und neuapostolischen
Christen wird festgehalten, dass diese »aus der Sicht der NAK ohne
weiteres möglich« sind, aber »der nicht-neuapostolische
Partner bedenken« sollte, »dass viele Mitglieder der NAK sehr
intensiv in das Gemeindeleben ihrer Kirche eingebunden sind. Empfehlenswert
ist es, schon zu Beginn der Ehe zu klären, in welchem Glauben die
Kinder erzogen werden sollen. Das Brautpaar sollte im Vorfeld mit Seelsorgern
beider Kirchen das Gespräch suchen.« |
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Neues Faltblatt: Orientierungshilfe |
der ACK Baden- |
Württemberg |
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Bild:
Faksimilé |
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Die Orientierungshilfe sorgte vor und nach ihrer Veröffentlichung
insbesondere auf landeskirchlicher und der ACK-Seite für Diskussionsstoff:
Umstritten war, ob solch eine Handreichung zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt
schon angebracht sei, könne sie doch suggerieren, dass alle strittigen
Fragen zwischen den ACK-Mitgliedskirchen und der NAK bereits gelöst
seien. Tatsächlich wird in dem Papier behauptet, dass es in der NAK
»bemerkenswerte Lehränderungen etwa im Hinblick auf das (…)
Amt des Stammapostels und die bis 2006 sehr exklusiv formulierte Heilslehre
gegeben« habe. Dies ist zumindest sehr wohlwollend formuliert, denn
ob aus den Debatten innerhalb der NAK tatsächlich Lehränderungen
resultieren, wird sich erst noch zeigen müssen, und vor allem der
»Informationsabend« vom 4. Dezember 2007 hat neue Zweifel daran
geweckt, ob die NAK tatsächlich von der Heilsnotwendigkeit des Apostelamts
Abstand nehmen kann. |
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Vor diesem Hintergrund sind viele evangelische und katholische Weltanschauungsbeauftragte
auch nicht sehr glücklich darüber, dass die NAK in Memmingen
und Aschaffenburg von der örtlichen ACK bereits den Gaststatus erhielt.
Der Präsident der bayrischen Landes-ACK, Regionalbischof Hans-Martin
Weiss, reagierte auf diesen Schritt „sehr skeptisch, weil die Neuapostolische
Kirche (…) noch keinen substantiellen Schritt von einer Sekte hin zu einem
Mitglied der weltweiten ökumenischen Gemeinschaft der Christen getan“
habe. Deshalb sei er auch „ein Gegner einer Gastmitgliedschaft der Neuapostolischen
Kirche, wie er in den ACK Memmingen und ACK Aschaffenburg praktiziert wird.
Die regionalen ACKs sind in dieser Frage jedoch autonom. Es gibt keine
Struktur, die ein Eingreifen der Landes-ACK ermöglichen würde.“ |
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Auch die ACK Deutschland schloss eine kurzfristige Aufnahme der NAK
auf Bundesebene aus. Ihr Vorsitzender, Landesbischof Friedrich Weber, unterstrich,
dass man zwar die weitere Entwicklung der NAK aufmerksam verfolgen wolle,
momentan seien die Vorgänge innerhalb der Gemeinschaft jedoch sehr
widersprüchlich. |
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Diese Beobachtung ist sicher zutreffend, zumal die NAK kein monolithischer
Block ist, in dem eine absolute »unité de doctrine«
herrscht. So gibt es NAK-Gemeinden und -Bezirke, denen es mit der Aufnahme
in die ACK offenbar gar nicht schnell genug gehen kann, andere stehen dem
Reform- und Öffnungsprozess distanzierter, vielleicht auch desinteressierter
und furchtsamer gegenüber. Deshalb bittet die NAK ihre Gesprächspartner
in der ACK um Geduld, denn die Amtsträger und Gemeinden bräuchten
Zeit, sich auf die neue Situation einzustellen. Angesichts der zahllosen
Spaltungen im Spektrum apostolischer Kirchen und Gemeinschaften ist die
Führung der NAK sicherlich gut beraten, ihren Mitgliedern nicht zu
viele Neuerungen auf einmal zuzumuten. |
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Allerdings könnte die Zeit des Lavierens auch schneller vorbei
sein, als es der NAK lieb ist. Wie dem auch sei: Um eine eindeutige Positionierung
in Sachen Exklusivität, Heilsnotwendigkeit und Beurteilung der eigenen
Geschichte wird die NAK langfristig nicht herumkommen, dafür ist der
Druck auf die Kirchenleitung von innen und außen, aber auch die Erwartungshaltung
auf landeskirchlicher Seite bereits viel zu groß. Es dürfte
also sehr spannend bleiben, die weitere Entwicklung der NAK mitzuverfolgen. |
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Christian Ruch, 04.08.2008 |
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Der Beitrag wurde zuerst
in der Zeitschrift Herder-Korrespondenz
(Ausgabe 08/2008, S. 408–412) unter der Überschrift »Immer noch
Sekte? – Vom schwierigen Reformprozess in der Neuapostolischen Kirche«
sowie am 04.08.2008 |
auf der Website der katholischen
Arbeitsstelle »Neue religiöse Bewegungen« der Schweizerischen
Bischofskonferenz, Infosekten,
veröffentlicht. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors. |
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Zur Person |
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Christian Ruch (geb. 1968) stammt aus Waldshut (Baden-Württemberg).
Nach einem Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Soziologie an
der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg (Breisgau) folgte die Promotion
zum Dr. phil. an der Universität Basel. |
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Von 1997 bis 2001 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter
und Teamleiter bei der »Unabhängigen Expertenkommission Zweiter
Weltkrieg« in der Schweiz. 2002 hatte er ein befristetes Mandat als
Berater einer gleichnamigen Forschungsgruppe im Fürstentum Liechtenstein.
Sein Auftrag war es, die Geschäftstätigkeit dreier Liechtensteiner
Industrieunternehmen zwischen 1939 und 1945 zu untersuchen. |
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Von Juni 2002 bis Januar 2004 war er als Kampagnenkoordinator
und Generalsekretär einer Schweizer Tibet-Organisation tätig.
Seit Februar 2004 arbeitet Ruch als freier Historiker und Soziologe. Er
hält Vorträge, wirkt nach eigenen Angaben an mehreren Forschungs-
und Publikationsprojekten mit, betätigt sich als freier »Ritualgestalter«
(anlässlich von Segnungen, Hochzeiten, Beerdigungen), wohnt in Chur
(Kanton Graubünden), ist Mitglied der katholischen Arbeitsgruppe »Neue
religiöse Bewegungen« der Schweizerischen Bischofskonferenz.
In den vergangenen Jahren hat er auch für die »Evangelische
Zentralstelle für Weltanschauungsfragen« in Deutschland über
aktuelle Entwicklungen in der NAK berichtet. |
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Weitere Informationen: www.christianruch.ch |
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