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11.08.2011
Wie ökumenefähig? – Zur Situation der
Neuapostolischen Kirche
Bild: EZW
In den vergangenen Jahren hat sich die Neuapostolische Kirche der ökumenischen Zusammenarbeit geöffnet. Diese Haltung ist allerdings innerhalb der Neuapostolischen Kirche umstritten und stößt zunehmend an Grenzen. Klärungen im Selbstverständnis sind jedenfalls unumgänglich.
Ein Kommentar von Dr. Christian Ruch,
Mitglied der katholischen Arbeitsgruppe
»Neue religiöse Bewegungen« der Schweizer Bischofskonferenz, publiziert in der Zeitschrift
»Herder-Korrespondenz« (Nr. 07/2011)
GAST-BEITRAG
VON DR. CHRISTIAN RUCH
S
eit rund zwölf Jahren ist in der Neuapostolischen Kirche (NAK) – immerhin eine der größten Glaubensgemeinschaften Deutschlands – ein erstaunlicher, bisweilen aber
auch widersprüchlicher und von Rückschlägen gekennzeichneter Reform- und Öffnungsprozess zu beobachten. Veranlasst wurde die NAK dazu aus eigenem Verdruss am »Sektenimage«, aber auch unter dem Druck unzufriedener junger NAK-Mitglieder sowie des Trommelfeuers der im Internet sehr gut vernetzten Aussteiger. Möglicherweise haben auch die sinkenden Mitgliederzahlen in Europa zum Umdenken beigetragen. Ein wesentlicher Bestandteil des Öffnungsprozesses ist das Gespräch mit den beiden großen Kirchen bzw. der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK).
Stammapostel Richard Fehr, bis 2005 Leiter der NAK, rief 1999 eine »Projektgruppe Ökumene« ins Leben. Ihr Auftrag: »Die PG Ökumene soll sich mit den wesentlichen Lehraussagen der Neuapostolischen Kirche im Hinblick auf ihre Verträglichkeit mit der Ökumene beschäftigen«. Hatte die NAK zu Beginn der neunziger Jahre noch erklärt: »Die Neuapostolische Kirche distanziert sich von der Ökumene. Sie sieht in ihr keinen geeigneten Weg zum Einssein in Christo«, geht es ihr nun darum, nach dem Vorbild der Siebenten-Tags-Adventisten langfristig Gaststatus in der ACK zu erhalten. Doch ist sie diesem Ziel unter Fehrs Nachfolger, Stammapostel Wilhelm Leber, inzwischen nähergekommen?
Zieht man eine Art Zwischenbilanz der bisherigen Kontakte zwischen der NAK und den beiden großen Kirchen, die sich bisher auf Deutschland und die Schweiz fokussiert haben, kommt man wohl nicht umhin festzustellen, dass sich zumindest auf ACK-Seite mittlerweile eine gewisse Ernüchterung bemerkbar macht. Dabei hatte es seitens der NAK durchaus Signale gegeben, die hoffnungsfroh stimmten. Anfangs 2006 verkündete sie eine wichtige Lehränderung, der zufolge zukünftig jene »Taufen, die in anderen christlichen Kirchen formgerecht vollzogen wurden, vollgültig anerkannt« würden. Zuvor mussten nicht-neuapostolische Taufen durch einen Apostel der NAK bestätigt werden.
In Baden-Württemberg führten die Gespräche zwischen ACK und NAK zu einer von der Landes-ACK im April 2008 herausgegebenen »Orientierungshilfe«, die praktische Ratschläge für den Umgang mit der NAK vor Ort geben wollte. Auf ACK-Seite war man über diese Handreichung jedoch nicht nur glücklich. Kritisiert wurde besonders die Aussage, dass es in der NAK »bemerkenswerte Lehränderungen etwa im Hinblick auf das (…) Amt des Stammapostels und die bis 2006 sehr exklusiv formulierte Heilslehre gegeben« habe. Diese wohlwollende Einschätzung wurde von einigen kirchlichen Weltanschauungsbeauftragten dezidiert nicht geteilt.
Trotzdem gelang es der NAK seitdem mehrfach, auf lokaler Ebene bereits den Gaststatus in der ACK zu erlangen, so etwa in Memmingen, Aschaffenburg, Hameln, Halle/Saale und Göttingen. Dies ebenfalls nicht zur Freude vieler kirchlicher Weltanschauungsbeauftragter, die darin ein unüberlegtes Vorpreschen und problematische Präzedenzfälle sehen.
Ein Spagat zwischen Reform und Bewahrung
Parallel zu den Gesprächen in Baden-Württemberg kam es auch in der Schweiz zum Dialog zwischen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (AGCK) und der NAK, dies zunächst auf informeller Ebene, ab 2007 dann auch offiziell. Dabei sollte geprüft werden, »ob und in welcher Form eine zwischenkirchliche Zusammenarbeit zwischen der NAK Schweiz und den in der AGCK organisierten Kirchen sinnvoll und möglich ist« und »ob die NAK bereit wäre, die Selbstverpflichtungen der Charta Oecumenica zu unterzeichnen« bzw. zu begründen, »wo das allenfalls und warum nicht der Fall sein könnte«.
Über den Autor
Dr. phil. Christian Ruch (Foto), geb. 1968, Historiker und Soziologe, Mitglied der katholischen Arbeitsgruppe »Neue religiöse Bewegungen« der Schweizer Bischofskonferenz, lebt in Chur. 
Im Laufe der Gespräche machten die Vertreter der AGCK die Erfahrung, dass »die Gesprächspartner [auf NAK-Seite] immer wieder eine größere Offenheit« zu erkennen gaben »als offizielle Texte der NAK erwarten ließen«, wie es im Zwischenbericht heißt. »Zum einen ist dies gewiss Ausdruck von Entwicklungen innerhalb der NAK, insbesondere des Öffnungsprozesses, in dem sie sich seit einigen Jahren befindet. Zum andern bleibt weiterhin zu fragen, ob diese Öffnung, diese Annäherung an die Kirchen der Ökumene, die von den Gesprächspartnern vertreten wird, von der NAK auch offiziell unterstützt wird. Zudem bleibt die Frage, ob die Sonderlehren der NAK nachhaltig so dem gemeinsamen christlichen Bekenntnis untergeordnet werden können, dass sie nicht mehr absondern, sondern nur noch das Profil einer besonderen Kirche innerhalb der weltweiten ökumenischen Gemeinschaft der Kirchen ausmachen.«
Da die NAK-Vertreter immer wieder auf den für 2010 angekündigten, aber wohl erst 2012 erscheinenden Katechismus ihrer Kirche hinwiesen, sah man in der Schweiz keine andere Möglichkeit, als die Gespräche zu vertagen und erst auf Grundlage dieses angeblich 600 Seiten starken Dokuments fortzuführen.
Die Erfahrungen der Schweizer Gespräche lassen sich durchaus auf Deutschland übertragen: Es kommt, z.B. Im Rahmen von Kirchentagsveranstaltungen oder Tagungen der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW), seit einigen Jahren immer wieder zu Gesprächen zwischen Landeskirchen und NAK, deren Atmosphäre kaum anders als offen, ja fast freundschaftlich und herzlich bezeichnet werden kann. Doch dürfen solche »Schönwetterbegegnungen« nicht darüber hinweg täuschen, dass die NAK in ihren nach innen gerichteten Verlautbarungen bisweilen ganz andere Töne anschlägt und eine ökumenisch gesinnte Offenheit schmerzlich vermissen lässt.
Ganz offenbar steckt sie in dem Dilemma, nach außen Reformen und Öffnung demonstrieren zu wollen, im Inneren aber auf die neuapostolische Identität und die Befindlichkeiten eher konservativer Kirchenkreise Rücksicht nehmen zu müssen. Dies führt wiederum dazu, dass sich die Leitung der NAK oft genug der Kritik jener reformorientierten Mitglieder ausgesetzt sieht, denen der Veränderungsprozess nicht schnell genug geht. Zudem führt der offensichtliche Spagat zwischen Reform und Bewahrung auf landeskirchlicher Seite regelmäßig zu Irritationen, weil nicht klar ist, was denn nun eigentlich gilt.
Jüngsten Anlass zu recht großer Irritation bot die revidierte Ekklesiologie der NAK. Im vergangenen Februar veröffentlichte sie in einer Sonderausgabe der »Leitgedanken zum Gottesdienst«, dem Mitteilungsblatt für die Amtsträger der Kirche, eine Stellungnahme mit dem Titel »Die Kirche Jesu Christi«. Unklar ist dabei, ob sie das vorwegnimmt, was man auch im neuen Katechismus der NAK zu lesen bekommen wird. Die Stellungnahme beginnt eigentlich ganz harmlos: Der Glaubensüberzeugung »Jesus Christus hat seine Kirche gestiftet, um dem Menschen zu seinem Heil die Gemeinschaft mit sich, dem Vater und dem Heiligen Geist zu schenken«, wird man als Mitglied einer anderen Kirche gern zustimmen. Bezug nehmend auf das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel wird anschließend definiert, was unter der einen, heiligen, allgemeinen und apostolischen Kirche zu verstehen ist, der sich selbstverständlich auch die NAK zugehörig fühlt.
Eine problematische kirchengeschichtliche Selbsteinschätzung
Was zu den ersten drei Attributen ausgeführt wird, ist wiederum relativ unproblematisch und damit wohl auch in einem ökumenischen Gespräch anschluss- und konsensfähig – was allerdings zum Begriff »apostolisch« erklärt wird, ist aus einer Perspektive jenseits der NAK dafür umso fragwürdiger. Es heißt, die Kirche sei apostolisch »in zweierlei Hinsicht: In ihr wird apostolische Lehre verkündigt und in ihr wirkt das apostolische Amt. Die apostolische Lehre ist die unverfälschte Botschaft von Tod, Auferstehung und Wiederkunft Christi. Das apostolische Amt ist das von Christus gegebene und vom Heiligen Geist gelenkte Apostelamt mit seinen Vollmachten. Die Apostolizität der Kirche besteht also darin, dass sie die Verkündigung der apostolischen Lehre fortsetzt und darin, dass sich das Apostelamt in gegenwärtig wirkenden Aposteln geschichtlich verwirklicht.«

Demgegenüber hat Reinhard Hempelmann, der Leiter der EZW, völlig zu Recht darauf hingewiesen, »dass die Apostolizität der Kirche ihre Kennzeichen« eben gerade »nicht in der Etablierung eines besonderen Apostelamtes hat«, und dies für »alle ökumenisch verbundenen Kirchen« gelte. Und für den katholischen Theologen Siegfried Wiedenhofer sind vielmehr die »wechselweise aufeinander angewiesenen Funktionen von Heiliger Schrift, kirchlicher Glaubensüberlieferung (besonders der Glaubensregel und des Glaubensbekenntnisses und Bischofsamt)« die Elemente einer Apostolizität, die sich einem zukunftsweisenden ökumenischen Kirchenverständnis verbunden weiß.

Daraus folgt, dass die Mitgliedskirchen der ACK unter einer apostolischen Kirche etwas völlig anderes verstehen (müssen) als die NAK. Auf diesen Punkt hinzuweisen ist sehr wichtig. Denn es gibt nach meiner sicher sehr subjektiven Beobachtung auf NAK-Seite immer wieder die Tendenz, durch die Verwendung derselben Begriffe vor allem im Dialog mit Katholiken einen Konsens zu postulieren, den es aufgrund unterschiedlicher Definitionen des Begriffs – wie eben beispielsweise »apostolisch« – gar nicht gibt. Ein schönes Beispiel dafür bietet auch die Verwendung des Begriffs »Petrusdienst«. So heißt es im neuen Kirchenverständnis der NAK, dass der Stammapostel, »den Petrusdienst« versehe. Diese Sichtweise des Stammapostelamts ist zwar alles andere als neu, doch  liegt der Verdacht nahe, dass die NAK mit der Verwendung des Begriffs »Petrusdienst« jetzt ganz bewusst eine funktionale Nähe zum Papsttum suggerieren will. Dass dies dagegen auf evangelischer Seite zu Stirnrunzeln führt, liegt auf der Hand.
Wesentlich problematischer und für die Kontakte zu anderen Kirchen schädlicher ist jedoch die kirchengeschichtliche (Selbst-)Wahrnehmung der NAK. Sie gesteht zwar zu, dass »all jene Menschen, die im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft sind, an Jesus Christus glauben und ihn bekennen«, zu einer »verborgenen Kirche Jesu Christi« zählten und nur Gott wisse, wer Teil dieser »verborgenen Kirche« sei, doch folgt darauf sogleich das große Aber: »In ihrer geschichtlichen Verwirklichung – also in ihrer Sichtbarkeit – wird die Kirche Jesu Christi insgesamt dem Gebot der Einheit, Heiligkeit, Allgemeinheit und Apostolizität nicht gerecht. Dies ist nicht zuletzt darin begründet, dass das Apostelamt über lange Zeit keine und seit dem 19. Jahrhundert nur in einem kleinen Teil der Kirche Christi Wirksamkeit entfalten konnte«. Eigentlich ist eine solche Aussage ziemlich starker Tobak, denn es scheint doch ziemlich vermessen, die diversen Irrwege der Kirche(n) quasi monokausal auf das Fehlen eines Apostelamts zurückzuführen. Zumal es bei allen Verfehlungen auf kirchlicher Seite immer wieder Menschen gab, durch die der Heilige Geist segensreich wirken konnte. Doch setzt die NAK auf ihr Kirchengeschichtsverständnis sozusagen noch eins drauf, indem sie folgendermaßen fortfährt: »Da das von Jesus Christus eingesetzte bevollmächtigte Amt personal nicht mehr besetzt war, konnten auch nicht alle Sakramente gespendet werden. (…) Das Heilige Abendmahl wurde nur noch als Gedächtnis-, Gemeinschafts- und Dankesmahl gefeiert, während die wahrhafte Gegenwart von Leib und Blut Jesu nicht mehr zustande kam. Durch die Wiederbesetzung des Apostelamtes wurden diese Mängel behoben.«

Und man täusche sich nicht: Der NAK geht es selbstverständlich nicht nur darum, früheres kirchliches Handeln als mangelhaft zu denunzieren, sondern auch das, was sich heute in anderen Kirchen abspielt, indem das Apostelamt einmal mehr zur conditio sine qua non für die Verwirklichung des »geistlichen Amts und die rechte Verwaltung« der Sakramente erklärt wird, so dass man nur zum Schluss gelangen kann, dass sich die Ekklesiologie der NAK weiterhin durch Exklusivität auszeichnet. Diese »deutlich formulierte Ausgrenzung aller anderen Kirchen im Abendmahl« sei für diese »ein Schlag ins Gesicht«, urteilte denn auch der evangelische Theologe und sächsische Weltanschauungsbeauftragte Harald Lamprecht völlig zu Recht.

Kritik von der Basis der NAK
Hintergrund
Die »Herder-Korrespondenz« ist eine unabhängige Monatszeitschrift aus dem Herder-Verlag (Freiburg im Breisgau). Sie berichtet seit über 60 Jahren über Kirche, Religion und Gesellschaft. Die renommierte »Neue Zürcher Zeitung« bezeich-
nete die »Herder-Korrespondenz« als »katholisches Intelligenzblatt im besten Sinn«.
Internetpräsenz
der Zeitschrift:
herder-
korrespondenz.de
Heftige Kritik hagelte es jedoch auch aus reform- und ökumeneorientierten Kreise an der NAK-Basis, wo man diese Ausgrenzung anderer Glaubensgemeinschaften offenbar immer weniger mit- und ertragen will. Bis Mitte März erklärten über 700 Mitglieder, darunter auch sehr viele Amtsträger, in einer Art Unterschriftenaktion, »dass weder unsere Kirche, noch die Kirchenleitung oder die Apostel abschließend eine Aussage dazu treffen können, ob und in welchem Umfang in anderen christlichen Kirchen und Gemeinschaften ein geistliches Amt wirkt. Gott allein entscheidet über diese Frage. Uns steht es nicht an, hierüber abschließend und ausgrenzend zu befinden. Gleiches gilt für die Wirksamkeit des Heiligen Abendmahls. (…) Wenn Gott es für richtig erachtet, wird er in anderen christlichen Kirchen und Gemeinschaften ein geistliches Amt geben und ein vollwertiges Heiliges Abendmahl schenken.«

Und Michael Koch vom selbstkritischen NAK-Forum »Glaubenskultur« kam nicht umhin, bedauernd festzustellen: »Noch nie hat sich die Neuapostolische Kirche so deutlich zu der ›einen‹ Kirche bekannt, zu der sie dazugehört; aber auch noch nie hat sie sich so deutlich und lehrverbindlich selbst über andere erhöht. Damit aber macht sie den ersten – durchaus anerkennungswürdigen – Teil leider zunichte«.

Stammapostel Wilhelm Leber goss kurz darauf noch zusätzlich Öl ins Feuer, als er Anfang März erklärte, dass es »nicht gut« sei, »wenn solche Sachdiskussionen auf irgendwelchen privaten Internetforen ausgetragen werden. Das hat sich wieder einmal beim Kirchenverständnis gezeigt. Dadurch wird eine Polarisierung hervorgerufen, die nicht im Sinn unserer Kirche ist. (…) Private Internetforen haben ein Interesse daran, solche Diskussionen noch auszuweiten. So wurden beispielsweise bei der Diskussion um das Kirchenverständnis Amtsträger im Ruhestand angeschrieben und mit Suggestivfragen dazu animiert, auch ihre Stellungnahme abzugeben. Das ist kein Prozedere, das der Sache dient.«
Gleichzeitig versuchte Leber die Basis zu besänftigen, indem er in einer anderen Stellungnahme betonte, dass »keinesfalls (…) andere Christen diskreditiert oder ausgegrenzt werden« sollten. »Die Souveränität Gottes lassen wir selbstverständlich unangetastet. Dieser Gedanke ist so grundsätzlich  und wurde so oft angeführt, dass wir es im Rahmen der vorliegenden Publikation nicht für nötig erachtet haben, darauf erneut einzugehen. Um alle Zweifel auszuräumen, möchte ich hier noch einmal wiederholen, was längst bekannt ist:
Ja,  andere – nichtneuapostolische – Christen sind nicht vom Heil ausgeschlossen.
Ja, der Geist Gottes kann auch außerhalb der Neuapostolischen Kirche wirksam sein.
Ja, es ist denkbar, dass auch nichtneuapostolische Christen bei der Wiederkunft Christi angenommen werden.
Ja, auch Geistliche anderer Konfessionen können Werkzeuge in der Hand Gottes sein und vielfältige segensreiche Dienste verrichten.«

Ganz offensichtlich bewegt sich auch Stammapostel Leber in der Quadratur des Kreises zwischen einer Öffnung im Sinne der Ökumene und der Wahrung des eigenen Profils. Sehr schön deutlich wird dies auch in seinen Statements auf der aktuellen DVD, mit der sich NAK einer interessierten Öffentlichkeit präsentiert. Es gelte, so Leber, die neuapostolische »Familie« in Einheit zusammenzuhalten, aber auch die Ökumene als Zustand eines »schönen Miteinanders« anzustreben.

Wenn es dem Stammapostel damit ernst ist, muss er sich allerdings fragen lassen, ob es ein »schönes Miteinander« eigentlich verträgt, dass die NAK nun schon mehrfach Kirchengebäude, die sie nicht mehr benötigt, ausgerechnet an die Priesterbruderschaft St. Pius X. verkauft hat. Insgesamt wurden bereits vier Kirchen in Deutschland und eine in der Schweiz an die umstrittenen Traditionalisten veräußert. Zuletzt kam es in Schlieren bei Zürich und Köln-Kalk zu solchen Verkäufen, und wie aus der Homepage der NAK Nordrhein-Westfalen hervorgeht, sieht man an der NAK-Spitze – ganz im Gegensatz zur empörten Basis – offenbar weder den Verkauf an sich noch die Käufer als problematisch an. Im Gegenteil: »Dass das traditionsreiche Gebäude in Kalk auch künftig von gläubigen Christen als Kirche genutzt wird, freut Apostel Franz-Wilhelm Otten. ›Mögen sich die Gemeindemitglieder der Piusbruderschaft dort so wohlfühlen, wie es die neuapostolischen Christen viele Jahrzehnte lang getan haben. Ich wünsche für alle Aktivitäten Gottes Segen‹, so der zuständige Apostel«, heißt es auf besagter Homepage.
Wie viel Sonderlehren verträgt die Ökumene?
Dabei scheint es die NAK bisher nicht zu irritieren, dass sie auf der den Piusbrüdern nahestehenden Hetzseite »kreuz.net« in der dort üblichen Manier als »von Menschen erfundene Sekte« abgekanzelt wird. Im persönlichen Gespräch rechtfertigen ranghohe Vertreter der NAK die Verkäufe immer wieder damit, dass es sehr schwierig sei, für Kirchengebäude Abnehmer zu finden und man den Dialog des Vatikans mit den Piusbrüdern als Indiz dafür genommen habe, dass die Veräußerungen unproblematisch seien. Immerhin räumt man inzwischen ein, dass man in diesem Punkt vielleicht doch etwas arg naiv gewesen sei. So ist zu hoffen, dass die NAK keine weiteren Geschäftsbeziehungen mit einer Gruppierung pflegt, die an ihrer Spitze Holocaust-Leugner duldet. Zumal ein solches Verhalten kaum zu den in freundlicher Atmosphäre geführten Gesprächen mit Vertretern der römisch-katholischen Kirche passt.
Im April trafen Apostel Volker Kühnle, so etwas wie der Chef-Ökumeniker der NAK, und drei seiner Begleiter mit Kardinal Kurt Koch, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, zusammen. »Gut eine Stunde tauschten sich die Gesprächsteilnehmer aus. Die Neuapostolische Kirche setzt damit ihren Dialog mit der katholischen Kirche fort«, meldete die NAK im Internet, nicht ohne stolz darauf hinzuweisen, dass Apostel Kühnle Radio Vatikan ein Interview geben durfte.
Die Weltanschauungsbeauftragten der beiden großen Kirchen lassen sich von solch prestigeträchtigen Begegnungen, die von der NAK verständlicherweise an die große Glocke gehängt werden, nicht beirren, wie sich auch an einer von der EZW und dem Konfessionskundlichen Institut in Bensheim organisierten Tagung Anfang Dezember letzten Jahres in Berlin zeigte. Bei ihr war eine gewisse Frustration über die permanent widersprüchlichen Signale der NAK und ihren stagnierenden Reformeifer spürbar, die wohl noch etwas herber ausgefallen wäre, hätte man ihre neuen Aussagen zum Kirchenverständnis bereits gekannt.
Offenbar hat die NAK den Verdacht, dass sie das Gütesiegel »ACK-Gastmitgliedschaft« aus reinen Opportunitätsgründen anstrebt, ohne zu substanziellen theologischen Korrekturen bereit zu sein, bisher nicht ausräumen können. Auf Seiten der Bundes-ACK sollen nun zwar ab Herbst in loser Folge Gespräche mit der NAK geführt werden, diese haben aber keinesfalls die Gastmitgliedschaft oder einen sonstigen Status der NAK innerhalb der ACK auf Bundesebene zum Ziel. Diese Zurückhaltung ist sehr zu begrüßen, denn man ist auf den diversen Ebenen der ACK gut beraten, wenn man die Latte für die NAK ganz bewusst nicht zu tief legt und gründlich abklärt, wie viel Sonderlehren die Ökumene eigentlich verträgt.

Die NAK ihrerseits muss jetzt endlich einmal Farbe bekennen, wie viel Öffnung und Ökumene sie eigentlich will. Mit dem für nächstes Jahr angekündigten neuen Katechismus hat sie ausgiebig Gelegenheit dazu – angesichts der jüngsten Verlautbarungen ist jedoch zu fürchten, dass sie den »ökumenischen Eignungstest« auch dann nicht bestehen wird. Oder wie es der bereits erwähnte Michael Koch offenbar sehr enttäuscht über seine Kirche formulierte: »Anhand ihrer Lehre ist die NAK nach wie vor nicht ökumenefähig. Sie befindet sich immer noch auf dem Stand der neunziger Jahre, von kleinen Korrekturen hier und da abgesehen.« Dieser Einsicht kann derzeit leider kaum widersprochen werden.

Dr. Christian Ruch, 11.08.2011
Quelle: Herder-Korrespondenz, Monatshefte für Gesellschaft und Religion, Heft 7, Juli 2011, S. 364–368;
Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion.

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