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12.09.2003 |
Jesus wieder im Zentrum der Erwartung |
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Das Titelthema der Ausgabe 04/2003 der Jugendzeitschrift „Spirit“ beschäftigt
sich mit der Naherwartung der Wiederkunft Christi, einem Kernpunkt der
neuapostolischen Glaubenslehre. Die „Spirit“-Redaktion sprach mit neuapostolischen
Christen aus drei Generationen über das Warten auf Jesus, die Vorbereitung
auf sein Kommen und das Wachhalten der Hoffnung. In dem Gespräch nimmt
ein heikles Thema, die Nichterfüllung der so genannten „Botschaft“
des Stammapostels Bischoff, Jesus käme zu seinen Lebzeiten, einen
unerwartet breiten Raum ein. Zwar vermag es „Spirit“ nicht, Licht in die
Ereignisse um die „Botschaft“ zu bringen, die veröffentlichten Aussagen
lassen aber interessante Rückschlüsse auf damalige Verhältnisse
zu und stellen sie in Relation zur heutigen Zeit. |
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„Nach mir kommt keiner mehr“ |
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Stammapostel Johann G. Bischoff (1871–1960) verkündete an Weihnachten
1951 in einem Gottesdienst in Gießen „ein Wort aus dem Geist des
Herrn“. Er sagte: „Ich bin der Letzte, nach mir kommt keiner mehr. So steht
es im Ratschluss unseres Gottes, so ist es festgelegt, und so wird es der
Herr bestätigen. Und zum Zeichen sollt ihr das haben, dass der Herr
in meiner Zeit kommt, um die Seinen zu sich zu nehmen.“ Die das nicht glauben
wollen, betonte er, „haben das ewige Leben verloren und sind dem ewigen
Tod verfallen“. [01] |
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Diese „Botschaft“ wurde zu einem Bestandteil der damaligen Kirchenlehre
und schließlich, obwohl sie nicht biblischen Ursprungs war, zu einem
verbindlichen Dogma erhoben. Wer die Prophezeiung, der über 80-jährige
Stammapostel werde nicht sterben und die Wiederkunft Christi leibhaftig
erleben, nicht gläubig bejahte, wurde nicht versiegelt und nicht in
die Gemeinschaft aufgenommen. Viele Kirchenmitglieder glaubten der „Botschaft“,
die Zahl der Zweifler war aber auch nicht gering. In der Folge kam es zu
Streitigkeiten und Ausschlüssen, die zur Gründung neuer Kirchengemeinschaften
führten. Als Bischoff am 6. Juli 1960 starb und die Verheißung
sich nicht erfüllte, blieb die Kirchenleitung unverändert bei
ihrer Haltung. Die „Botschaft“ sei wahr und echt, denn sie sei vom Geist
Gottes eingegeben. Aus „noch nicht bekannten Gründen“ habe Gott seinen
Plan geändert, hieß es in einem Rundschreiben an die verunsicherten
Gemeinden. [01]
Bereits
sieben Tage später wählte des Apostelkollegium Walter Schmidt
zum Nachfolger Bischoffs ins Amt des Stammapostels. Als dieser dann die
Parole „Wir schweigen“ herausgab, konnte niemand ahnen, dass die Wiederkunft
Christi noch weitere vier Jahrzehnte auf sich warten lassen würde. |
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Ratlosigkeit statt Aufarbeitung |
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Die Hintergründe der „Bischoff-Botschaft“, deren Folgen und Zusammenhänge
wurden innerhalb der Neuapostolischen Kirche bis heute nicht aufgearbeitet.
Trotz, oder vielleicht auch gerade wegen der über Jahrzehnte kollektiv
geübten Mentalität der Verdrängung ist das Thema keineswegs
vom Tisch. Im Gegenteil: Für eine neue Generation von Kirchenmitgliedern
stellt die konstruktiv-kritische Auf- und Verarbeitung problematischer
Entwicklungen aus der Vergangenheit kein Sakrileg mehr dar. |
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Die Jugend informiert sich aus unabhängigen Quellen, setzt sich
unbefangen mit der Kirchengeschichte auseinander, stellt kritische Fragen
und gibt sich – gerade abseits von glaubensnotwendigen Dogmen – nicht mit
halbherzigen Erklärungen zufrieden. Sie wünscht Tiefgang in der
Auseinandersetzung mit der Lehre und der Geschichte ihrer Kirche. Auf einer
Tagung im Februar 2003 stellte NAK-Sprecher Peter Johanning zurecht fest:
„Unser heutiges Amtsverständnis unterscheidet
sich in wesentlichen Punkten von dem der Anfangsjahre unserer Kirche. Wir
legen heute den eindeutigen Vorrang auf die Lehre, auf Inhalte, statt auf
die Würdigung von Personen. Die Glaubwürdigkeit der Lehre und
der sie vertretenden Personen stehen im Vordergrund. Die Jugend als die
Zukunft der Kirche lässt sich nicht mit Äußerlichkeiten
beeindrucken, sondern wünscht Tiefgang in der theologischen Auseinandersetzung.“
[02] |
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Die Kirchenleitung gibt sich in den wenigen Stellungnahmen |
zur „Botschaft“ auch heute noch betont zurückhaltend. 1998 erklärte
Stammapostel Richard Fehr im Rahmen eines Jugendtages in Stuttgart: „Die
Botschaft des Stammapostels |
J. G. Bischoff ist eine geschichtliche Tatsache. Unter welchen Umständen
diese Botschaft damals zustande kam und warum sie sich nicht erfüllte,
wissen wir nicht. Am Tag des Herrn werden wir alle darüber Klarheit
empfangen.“ Dieser Aussage zufolge sind selbst die Umstände, die zur
„Botschaft“ führten, der Kirchenleitung nach wie vor verschlossen.
Von einer Glaubensnotwendigkeit ist heute immerhin keine Rede mehr. Auf
den Zusatz: „Der göttliche Charakter der Botschaft wird nicht in Frage
gestellt“, der sich in früheren Verlautbarungen fand, wurde bei der
letzten offiziellen Stellungnahme aus dem Jahr 1998 verzichtet. |
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„Gott kann sich nicht geirrt haben“ |
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In einer Radio-Diskussionsrunde über die Neuapostolische Kirche
im Januar 1997, an der auch der damalige Bischof und heutige Apostel Gert
Opdenplatz teilnahm, sagte der anerkannte Religionswissenschaftler und
NAK-Experte Prof. Dr. Helmut Obst: „Ich gebe Ihnen völlig recht, dass
in den anderen großen Kirchen die Naherwartung vernachlässigt
worden ist. Ich sage deshalb, dass die Frage der Naherwartung nicht zu
den Hauptdifferenzpunkten zwischen der Neuapostolischen Kirche und den
anderen Kirchen gehört. Aber die Einbindung und Anbindung der Naherwartung
an das heilsvermittelnde Amt des Stammapostels, das ist die Grundsatzfrage,
wie es deutlich wurde, als der Stammapostel Bischoff verkündete, der
Herr werde zu seinen Lebzeiten wiederkommen und als das nicht eintrat,
die Neuapostolische Kirche nicht gesagt hat und bis heute nicht sagt, der
Stammapostel habe sich geirrt, sondern Gott habe seinen Willen geändert.
Dahinter steht für mich das Prinzip, das ich aus der Kirchengeschichte
von der katholischen Kirche kenne: Die Kirche irrt nie, die Kirche hat
immer recht – und was ich als früherer Bürger der DDR kenne:
Die Partei hat immer recht. Und hier ist für mich der eigentliche
Knackpunkt: Dass die Neuapostolische Kirche von ihrem Selbstverständnis
her nicht bußfähig ist.“
[03] |
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Zu der rhetorischen Frage, ob sich die Kirche womöglich geirrt
habe, sagte Bischof Gert Opdenplatz als Vertreter der NAK: „Ich selbst
habe in der Zeit nicht gelebt, als das gewesen ist. |
Ich habe das von den Eltern gehört und auch von anderen, |
die damals gelebt haben, und die haben mir ganz klar gesagt: Wir haben
das absolut geglaubt. Ich kann mich doch nicht zum Richter über den
Glauben der Vorgänger aufwerfen. Aber für mich ist eines ganz
klar und ich denke, dazu steht auch die Kirche, dass Gott sich nicht geirrt
haben kann.“
[03] |
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„Der Herr kann seinen Plan ändern“ |
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Die Zeitschrift „Spirit“ unternimmt erst gar nicht den Versuch, die
Zusammenhänge um die „Botschaft“ näher darzustellen. |
Die diesbezüglichen Aussagen in dem eingangs erwähnten Hintergrundgespräch
in Ausgabe 04/2003 stehen für sich, lassen aber immerhin Rückschlüsse
auf die damaligen Ereignisse zu. Glaubensschwester Maria, Jahrgang 1913,
erzählt von den Zuständen nach der Nichterfüllung der „Botschaft“
und den unmittelbaren seelischen Folgen: „Die ersten paar Tage, da hast
du niemanden gesehen, den du getroffen hast, der nicht stehen geblieben
ist und geweint hat. Was da für Tränen geflossen sind, das kann
ich dir nicht schildern. Heute freut man sich, wenn man auf der Straße
jemandem begegnet, damals gab es nur Tränen. Und vielleicht in vielen
Geschwistern auch zweifelnde Fragen. (...) Es hat einige Geschwister gegeben,
die dann nicht mehr in die Gottesdienste kamen, aber es war ein kleiner
Prozentsatz.“ |
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Über den Stellenwert der „Botschaft“ berichtet sie: „Das Wissen,
dass der Herr kommt, das war fest verankert in unserer Seele. Als dann
der Stammapostel Bischoff verkündete: ‚Der Herr hat mich wissen lassen,
dass ich nicht sterben werde, sondern dass der Herr Jesus zu meiner Lebzeit
kommt‘, war das für uns ein Gesetz. Wie ein feststehendes Gesetz:
Der Herr kommt jetzt. (...) Man hat sich an den Zeitraum geklammert. Der
Stammapostel war damals schon über 80. Von da an hat man in jedem
Jahr gedacht, in diesem Jahr kommt der Herr.“ |
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Nach dem Ausbleiben der Erfüllung der „Botschaft“ gingen die meisten
Geschwister schnell wieder zur Tagesordnung über. |
Sie werteten das Ereignis als eine göttliche Prüfung. Zitat:
„Wir wussten vom ersten Tag an: Und wenn er doch heimgegangen ist, der
Herr kommt trotzdem und holt uns heim. An dieser Tatsache konnte niemand
etwas ändern. Da standen wir einfach ganz fest verwurzelt. (...) Uns
wurde dann gesagt, der Herr kann seinen Plan ändern. Er hat ihn geändert
bei Hiskia usw. Und wenn man sich mit diesem Gedanken dann beschäftigt
hat, konnte man verstehen, dass der Herr auch hier zur Prüfung seines
Volkes diesen Heimgang geschehen ließ.“ [04] |
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„Erwartung wieder auf Christus bezogen“ |
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Einen anderen Erklärungsansatz verfolgt Fritz, Jahrgang 1954.
Der Priester berichtet in „Spirit“ über Erfahrungen aus seiner Tätigkeit
als ehrenamtlicher Seelsorger in der Neuapostolischen Kirche. Er betont
den Wandel der Kirchenlehre und kommt dabei zu einem bemerkenswerten Fazit: |
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„Ich höre manchmal bei den Hausbesuchen von den älteren Geschwistern,
dass diese Intensität der Erwartung, wie sie zur Zeit von Stammapostel
Bischoff vorherrschte, heute nicht mehr so vorhanden sei. Ich führe
dieses Empfinden darauf zurück, dass man damals unter dem Eindruck
der Botschaft die Zeit sozusagen als Frist wahrgenommen hat – da lief wirklich
die Zeit ab, auf ein für alle absehbares Ende hin. Diese Art der Zeitwahrnehmung
haben wir heute natürlich nicht mehr – das Ende ist gewissermaßen
offen. (...) Für mich ist es wichtig, dass die Erwartung heute nach
meinem Eindruck viel stärker wieder auf Christus bezogen ist; früher
war man doch eher fixiert auf äußere Zeichen, an denen sich
die Erwartung festgemacht hat. (...) Von dieser Art einer etwas vordergründigen
Naherwartung sind wir heute doch – Gott sei Dank – weggekommen. Dass der
Herr selbst wieder im Mittelpunkt der Erwartung steht, ist für mich
das Ausschlaggebende. Ich denke, die vermehrte Hinwendung und Bezugnahme
auf Christus, auch in den Gottesdiensten, führt dazu, dass auch der
wiederkommende Gottessohn wie selbstverständlich ins Zentrum unseres
Glaubens rückt.“ [04] |
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Christian
Puffe, 12.09.2003 |
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[01] - Biographisch-Bibliographisches
Kirchenlexikon, Band 1, 1990, Verlag Traugott Bautz, Nordhausen |
[02] - Vortrag zur Akademietagung
„Glaube und Nation im Nationalsozialismus und heute“ am 1. Februar 2003
in Rüdesheim/Rhein |
[03] - „Die Neuapostolische
Kirche und ihre Kritiker“, Radiosendung am 9. Januar 1997 im Programm von
Südwest 2 Kultur |
[04] - „Spirit“, Ausgabe
04/2003, Friedrich Bischoff Verlag, Frankfurt |
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Bilder zum Thema |
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Apostelversammlung am |
10. Juli 1960 in Frankfurt |
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Am offenen Grab des Stammapostels Bischoff |
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Literatur |
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Das reich bebilderte Werk „Johann Gottfried Bischoff“
zeichnet ein eindrucksvolles Lebensbild des Leiters der Neuapostolischen
Kirche von 1930 bis 1960. Die darin enthaltenen Darstellungen zur „Botschaft“
geben die Sicht der Neuapostolischen Kirche mit Stand des Jahres 1997 wieder.
Der Leser erfährt beispielsweise die letzten Worte des Stamm- apostels.
An seinem Sterbe- tag sagte er: „Jetzt gehts mir wie dem Herrn, jetzt möchte
ich auch sagen: Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?!“ Und zuletzt:
„Der Herr wird die Herde bei den Hirten suchen.“ |
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Susanne Scheibler: „Johann
Gottfried Bischoff“, Ausgabe 1997, Friedrich Bischoff Verlag, ISBN 3-920
104-29-3 |
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Hintergrund |
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„Nachdenkliches über die Botschaft des Stamm- apostels
J. G. Bischoff“, Denkschrift des Apostels Peter Kuhlen, Apostolische Gemeinschaft,
Düsseldorf |
im März 1955 |
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apostolisch.de/hinter... |
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Link zum Thema: |
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„Spirit – Das junge Magazin für neuapostolische
Christen“, erhältlich beim Friedrich Bischoff Verlag |
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spirit-nak.de |
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