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Heute ist  .
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24.04.2004
„Das Dümmste, was man machen kann“
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Im Rahmen eines Gottesdienstes am 18. April 2004, der per Satellitenschaltung in die Gebietskirchen Sachsen-Thüringen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen übertragen wurde, wandte sich Stammapostel Richard Fehr, das geistliche Oberhaupt der Neuapostolischen Kirche, erneut an die Gläubigen anderer apostolischer Richtungen: „Wenn sie meine Worte hören sollten, auf irgendwelchen Wegen oder Umwegen, sage ich heute für diese Seelen: Kommt zurück zur Mutter, die Tür ist sperrangelweit offen, aber auch unsere Herzen sind offen!“
Er forderte die Mitglieder des 1921 in Sachsen entstandenen reformiert-apostolischen Gemeindebundes (heute: Vereinigung Apostolischer Gemeinden) auf, sich wieder der „Mutterkirche“ anzuschließen. Zugleich hielt er ihnen vor, sie hätten sich vom Stammapostel gelöst, obschon es „das Dümmste“ sei, was man machen könne, wenn man apostolisch sei.
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„Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte“
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Mit seiner Äußerung stellte der Stammapostel die Legitimität anderer apostolischer Gemeinschaften in Frage, ganz so, als sei die Rechtmäßigkeit ihrer Existenz am Grad der Loyalität zum Stammapostelamt zu messen. Das folgenschwere Schisma von 1921 als bloßen Fehltritt der Ausgestoßenen zu bezeichnen, ohne die Hintergründe aufzuarbeiten und die eigene Mitschuld offen zu legen, zeugt von einem mangelnden Geschichtsbewusstsein in der Kirchenleitung. Der von etlichen Zuhörern als taktlos empfundene Seitenhieb des Stammapostels ist fraglos völlig ungeeignet, die angestrebte Versöhnung unter den Apostolischen zu befördern. Die Aussage könnte sich vielmehr als hinderlich für die weitere Entwicklung der ohnehin ins Stocken geratenen Gespräche zwischen den apostolischen Gemeinschaften und der Neuapostolischen Kirche erweisen.
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Zu Beginn des Jahres 2000 ergriff Stammapostel Fehr selbst die Initiative und lud die Leiter verschiedener Apostelgemeinden zu einem „Konzil apostolischer Gemeinschaften“ nach Zürich ein. In der Einladung zu diesem Treffen formulierte er: „Schon länger trage ich den Wunsch in meinem Herzen, dass dieses neue Jahr für uns ein ‚Jahr der Begegnung‘ nach innen und außen werde. Als eine wichtige Begegnung empfinde ich die Aufarbeitung unserer gemeinsamen Geschichte. Ein gemeinsamer Blick zurück mag uns ausrüsten für den gemeinsamen Blick nach vorn, vielleicht sogar in eine Zeit, in der wieder Brüderlichkeit unter allen apostolischen Gemeinschaften herrschen kann. Wir sind eine Zeit lang denselben Glaubensweg gegangen und haben über Jahre und Jahrzehnte dieselben Glaubensinhalte geteilt. Mit ganz verschiedenen Begründungen kam es zu Trennungen, die auch heute noch die vorhandenen Gemeinsamkeiten belasten. (...)
Ich fühle mich getrieben, alles daran zu setzen, das verlorene Einssein (...) wieder zu finden.“ [01]
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Angesichts der jüngsten Äußerungen des Stammapostels an die Adresse seiner apostolischen Glaubensbrüder bleibt zu fragen, was von den ehrgeizigen Ambitionen des Jahres 2000 und dem Gedanken der Aufarbeitung und Aussöhnung nach vier Jahren inner-apostolischen Dialogs übrig geblieben ist. Welchen Sinn haben ökumenische Bestrebungen, wenn es dem „Primus inter pares“ [02] letztlich doch „nur“ um die Aufrechterhaltung einer eigenen, unumstößlichen Linie und – entgegen ökumenischer Konventionen – um die Rückführung „verirrter Seelen“ in den Schoß der „Mutterkirche“ geht?
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„Es ist noch nicht aller Tage Abend“
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Die Erklärung des Stammapostels, abgegeben am 18.04.2004 in einem Gottesdienst in Bad Blankenburg (Thüringen), gemäß einem der Redaktion vorliegenden Gedächtnisprotokoll: „Liebe Geschwister, nun noch etwas. Ich wollte zuerst nichts darüber sagen. Aber es liegt mir einfach zu oberst in meiner Seele, wenn ich in diesem besonderen Gebiet bin und wieder einmal im Apostelbereich Sachsen-Thüringen dienen kann. Vor vielen Jahren kam es hier zu einer großen Spaltung. Blühende Gemeinden sind auseinander gerissen worden. Von hundert sind vielleicht noch drei oder vier geblieben. Eine neue Richtung ist entstanden. Man hat sich vom Stammapostel gelöst, obschon es das Dümmste ist, was man machen kann, wenn man apostolisch ist. Immer noch hat es Seelen hier, die jenen Weg gehen. Geschwister, vergessen wir sie nicht. Beten wir für sie! Wenn es möglich ist, möge die Liebe und Gnade Gottes den einen oder anderen zurückführen zur Mutter. Das wäre eine Freude im Vaterhaus wie im Bild vom verlorenen Sohn, als er zurückkam. Meine Brüder und Schwestern, beten wir vermehrt dafür (...) und geben wir im rechten Augenblick am rechten Ort ein mutiges, aber auch liebevolles, freundliches Wort des Zeugnisses. Es ist noch nicht aller Tage Abend! Geschwister, (...) von den Letzten, die hereingebracht werden sollen, sind vielleicht auch von denen welche dabei. Wenn sie meine Worte hören sollten, auf irgendwelchen Wegen oder Umwegen, sage ich heute für diese Seelen: Kommt zurück zur Mutter, die Tür ist sperrangelweit offen, aber auch unsere Herzen sind offen!“
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Der Pressesprecher des Stammapostels, Bezirksevangelist Peter Johanning, wollte den Wortlaut dieser Erklärung nicht zur Veröffentlichung zur Verfügung stellen. Auf Anfrage teilte er mit, man gebe grundsätzlich keine Wortprotokolle heraus.
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Lesen Sie weiter:
„Die Tür zur Mutterkirche ist sperrangelweit offen“
Stammapostel Fehr bedauert Spaltungen im Saarland
(naktuell.de Artikel vom 07..09.2003)
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Christian Puffe, 24.04.2004
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Artikel im Forum kommentieren
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[01] – Kopie eines Schreibens von Stammapostel Richard Fehr, gerichtet
„an die Leiter der apostolischen Gemeinden in Europa“, Zürich, 31. Januar 2000, gefunden im Dokumentenarchiv der Internetseite „Wächterstimme aus Zion“.
[02] – „Erster unter Gleichen“ / Bei einer Vortragsveranstaltung der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) im Mai 2001 verwendete Apostel Volker Kühnle (Vorsitzender der NAK-Projektgruppe »Ökumene«) diesen Begriff zur Beschreibung der Stellung des Stammapostels in der NAK.
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Bild zum Thema
Stammapostel Richard Fehr
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Hintergrund
Im Jahr 1921 ereignete sich
in Sachsen eine folgenreiche Kirchenspaltung, die aus einem Lehrkonflikt zwischen dem in Dresden ansässigen Apostel Carl August Brückner und dem damaligen Stammapostel Hermann Niehaus resultierte. Der Streit führte im März 1921 zur Amtsenthebung Brückners und dessen Ausschluss aus der Neuapostolischen Glaubensgemeinschaft. In kurzer Zeit schlossen sich ihm etwa 6.000 Mitglieder an. Es bildeten sich neue Gemeinden, vornehmlich im Raum Dresden/Görlitz, im Erzgebirge und im Vogtland. Die juristische Gründung des „Reformiert-Apostolischen Gemeindebundes“ erfolgte im Mai 1924. Siebzig Jahre später schloss sich der ostdeutsche Zweig mit der in Düsseldorf ansässigen Apostolischen Gemeinschaft zur Vereinigung Apostolischer Gemeinden (VAG) zusammen.
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Literatur
Helmut Obst: „Apostel und Propheten der Neuzeit“ –
Das Buch bietet auf über 600 Seiten einen umfangreichen Überblick über Leben, Lehre und Selbstverständnis der Gründer von 16 christlichen Religionsgemeinschaften des 19. und 20. Jahrhunderts. Das Kapitel „Apostel der Neuzeit“ gibt fundierte Informationen über die Entstehungsgeschichte der katholisch-apostolischen Gemeinden, der NAK und weiterer Apostelgemeinden.
Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Februar 2000,
ISBN 3-525554-38-9,
Preis: 29,90 Euro
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