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06.11.2003 |
Mitglieder auf Distanz zur eigenen
Kirche |
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Ein Großteil der evangelischen Christen hat laut der kürzlich
in Berlin vorgestellten EKD-Erhebung zur eigenen Kirche nach wie vor ein
distanziertes Verhältnis. Die lose Verbundenheit zeigt sich auch daran,
dass die meisten Protestanten die Kirche vorrangig als Dienstleister ansehen,
die nur noch dann gefragt ist, wenn es um die rituelle Begleitung an den
Wendepunkten des Lebens geht. Bei Taufen, Konfirmationen, Hochzeiten und
Bestattungen sowie bei Festgottesdiensten an Ostern, Weihnachten oder auch
am Erntedanktag erreichen die evangelischen Landeskirchen ihre Mitglieder
nämlich noch eher als durch die regulären Angebote in den Gemeinden. |
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„Erosion der Volkskirche“ |
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Zwei Drittel der Befragten gaben bei der Befragung denn auch an, abgesehen
von der Teilnahme an Gottesdiensten, würden sie überhaupt nicht
am kirchlichen Leben teilnehmen. Laut einem Zeitungsbericht gingen im Jahr
2000 nur noch 3,9 Prozent der Protestanten sonntags in die Kirche, 66.000
weniger als im Jahr zuvor. Bei den Katholiken sank die Quote von 16,5 auf
15,9 Prozent. In der EKD-Studie heißt es, dass es schon fast den
Anschein habe, als wären die Kirchen weitgehend unfähig, die
eigenen Mitglieder zu mobilisieren. Von einer langsamen, aber stetigen
Erosion einer in der Gesellschaft verankerten „Volkskirche“ ist bereits
die Rede, weil die Zugehörigkeit zur Kirche immer weniger selbstverständlich
wird. |
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„Seelsorge, nicht Politik“ |
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Die Mitgliederbefragung, die seit 1972 im zehnjährigen Turnus
durchgeführt und vom Kirchenamt der EKD herausgegeben wird, ergab
auch, dass die Gläubigen von ihrer Kirche vor allem „Seelsorge, nicht
Politik“ erwarten. Durch Verkündigung ihrer Botschaft, durch Gottesdienste
und persönlichen Beistand solle sie den Menschen helfend und begleitend
zur Seite stehen und sich für Notleidende einsetzen. |
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Für die vierte Studie mit dem Titel „Kirche – Horizont und Lebensrahmen“
waren im Herbst 2002 mehr als 1800 Mitglieder der evangelischen Landeskirchen
sowie etwa 900 Konfessionslose befragt worden. Die Umfrageergebnisse weisen
im Vergleich zu den vorausgegangenen Untersuchungen aus den Jahren 1972,
1982 und 1992 eine deutliche Stabilität auf. So hat sich die Zahl
derer, die sich mit ihrer Kirche „eng“ oder „ziemlich eng“ verbunden fühlen,
mit rund 37 Prozent in den vergangenen drei Jahrzehnten kaum verändert.
Allerdings ist die Bereitschaft der Kirchenmitglieder nur sehr gering,
sich am Gemeindeleben aktiv zu beteiligen. |
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Zahl der Austrittswilligen „beunruhigend“ |
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Nach wie vor beschäftigt sich ein Drittel der Protestanten mit
dem Gedanken, aus der Kirche auszutreten. Die Autoren der Studie bewerten
die konstante Zahl der Austrittswilligen als „beunruhigend“. Gleichwohl
wird darauf hingewiesen, dass alle großen Institutionen in Deutschland
seit geraumer Zeit einen Mitgliederschwund zu verzeichnen haben. Die Kirchen
stünden jedoch vergleichsweise noch gut da. |
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In den vergangenen dreißig Jahren haben mehr als fünf Millionen
Menschen die 24 lutherischen, reformierten und unierten Landeskirchen in
Deutschland verlassen, während 1,2 Millionen eintraten. Allein in
den letzten zehn Jahren reduzierte sich die Zahl der Protestanten um mehr
als zwei Millionen auf derzeit rund 26,3 Millionen Mitglieder. Zum Vergleich:
Die Katholische Kirche in Deutschland verlor von 1992 bis 2002 rund 1,7
Millionen Gläubige und hat derzeit nach eigenen Angaben rund 26,4
Millionen Mitglieder. Was den Trend noch verstärkt und für die
Kirchen brisant macht ist die Tatsache, dass die verbliebenen Kirchenmitglieder
immer älter werden und die Jüngeren immer mehr Distanz zu den
Kirchen halten. |
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„Den Menschen zuwenden“ |
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Der bisherige EKD-Ratsvorsitzende Manfred Kock äußerte |
bei der Vorstellung der Studie, die „distanzierte Mitgliedschaft“ müsse
man als eigenständige Form akzeptieren. Allerdings werde sich die
Kirche durch die zahlreichen Austritte „nicht gesundschrumpfen“. Pfarrer
und Gemeindemitglieder müssten sich daher verstärkt um die distanzierten
Mitglieder kümmern. Aber auch die kirchennahen Gemeindemitglieder
wünschten, mehr wahrgenommen zu werden. Kock sprach sich deshalb für
mehr Familiengottesdienste und flexiblere Angebote aus. |
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Ähnlich äußerte sich jetzt auch Kocks Nachfolger, der
Bischof von Berlin-Brandenburg, Dr. Wolfgang Huber. Nach seiner Wahl zum
neuen EKD-Ratsvorsitzenden forderte Huber, dass sich die Kirche in Zeiten
des Mitgliederschwunds nicht auf sich selbst beziehen dürfe, sondern
„sich den Menschen zuwenden“ müsse. Huber sieht besonders starke Herausforderungen
für die evangelische Kirche in den neuen Bundesländern. Dass
er zum Ratsvorsitzenden und der thüringische Landesbischof Christoph
Kähler zu seinem Stellvertreter gewählt worden sei, wertete Huber
als Signal, dass die EKD die östlichen Gliedkirchen nicht im Stich
lasse. |
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„Zurück zu den Kernaufgaben“ |
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Nach der Veröffentlichung der EKD-Erhebung kommentierte Heike
Schmoll in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom |
14. Oktober 2003 treffend: „Die Mitgliederbefragung, aber
auch die Gespräche mit Konfessionslosen lassen einen neuen Sinn für
Wesentlichkeit erkennen, der auch die Erwartungen an die Kirche prägt.
Wollen die Kirchen diesen Wünschen entsprechen, muss ihnen die Konzentration
auf ihre Kernaufgaben wichtiger werden als bisher. Gelungene Gottesdienste
mit nachdenklichen, sorgfältig vorbereiteten Predigten, eine intensive
und zuhörende, vor allem persönliche Begleitung an den Wendepunkten
des Lebens – damit lassen sich Kirchennahe halten und Kirchenferne auch
wieder gewinnen.“ |
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NAK: Warten auf eigene Umfrage |
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Einige Befunde der EKD-Studie dürften auch auf die Neuapostolische
Kirche in Deutschland zutreffen. Wie berichtet (siehe naktuell.de
Artikel vom 23. Februar 2003), haben die deutschen Gebietskirchen in den
vergangenen beiden Jahren mehr als 5.500 Mitglieder oder 1,4 Prozent verloren.
Die Mitgliederzahl lag Ende 2002 nur noch bei 382.798. Im Vergleich zum
Vorjahr entspricht dies einem Rückgang um rund 2.800 Mitglieder oder
0,73 Prozent. Dabei verringerte sich die Mitgliederzahl in den östlichen
Regionen überdurchschnittlich. Und auch die Anzahl der aktiven Amtsträger
sowie der Gemeinden ist weiter rückläufig. Weitere Aufschlüsse
soll eine deutschlandweite Umfrage ergeben, deren Planung laut einer Meldung
in der Kirchenzeitschrift „Unsere Familie“ (Ausgabe 09/2002) bereits Ende
Oktober 2001 auf der Tagesordnung einer Bezirksapostelversammlung in Köln
stand. |
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Den großen Kirchen ganz nah |
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Nach Einschätzung von Dr. Andreas Fincke von der Evangelischen
Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) „hat offensichtlich
die tiefgehende Säkularisierung Deutschlands inzwischen auch die kleineren
Religionsgemeinschaften erreicht“. Bezirksevangelist Peter Johanning, der
Medienreferent der NAK International, hatte in einem Vortrag am 1. Februar
2003 bei einer Akademietagung in Rüdesheim (siehe naktuell.de
Artikel vom 12. Februar 2003) die rückläufigen Mitglieder- |
zahlen in Deutschland damit erklärt, dass „der generelle gesellschaftliche
Wandel zu Kirche und Religion, die zunehmend fehlende Bindungsbereitschaft
und der Wertewandel“ auch vor der Neuapostolischen Kirche nicht Halt mache. |
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Nach Angaben des EZW-Referenten treffen diese Beobachtungen vor allem
für Ostdeutschland zu. Zwar werde man einen Teil der rückläufigen
Zahlen mit den nach wie vor starken Umzugsbewegungen in Richtung Westdeutschland
erklären können, aber dennoch sei unübersehbar, dass in
den Regionen mit der höchsten Arbeitslosigkeit, also in Teilen Sachsen-Anhalts
und Mecklenburg-Vorpommerns, Religion – ob in Gestalt der traditionellen
Kirchen oder der traditionellen Sondergemeinschaften – bei der Bewältigung
gesellschaftlicher Probleme kaum noch eine Rolle spiele. Die kleineren
Religions- |
gemeinschaften, so Fincke, seien bei dieser Problematik „den großen
Kirchen viel näher als sie glauben wollen“. |
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Jens
Joachim, 06.11.2003 |
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Bilder zum Thema |
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Evangelische Gottesdienstbesucher |
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Fordert von seiner Kirche, sich den Menschen zuzuwenden:
Bischof Dr. Wolfgang Huber, der neue Ratsvorsitzende der EKD |
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Hintergrund |
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Die vom Kirchenamt der EKD herausgegebene vierte Erhebung
über Kirchen- |
mitgliedschaft mit dem Titel „Kirche – Horizont und Lebensrahmen.
Weltsichten, Lebensstile, Kirchen- |
bindung“ kann im Internet als PDF-Dokument heruntergeladen
werden. |
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ekd.de/download/... |
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Statement des bisherigen EKD-Ratsvorsitzenden Manfred
Kock bei der Vorstellung der EKD-Studie am 14. Oktober 2003 |
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ekd.de/vortraege/... |
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Zurückgehende Mitglieder- |
zahlen: Dr. Andreas Fincke informiert im „EZW- |
Materialdienst“ Nr. 07/2003 über die großen
christlichen Sondergemeinschaften |
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ekd.de/ezw/... |
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