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Heute ist  .
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12.12.2005
»Faktisch eine exklusive Kirche«
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Unter der Überschrift »Werk Gottes in der Vollendungszeit? – Die Neuapostolische Kirche heute« hat Dr. Andreas Fincke, der für die christlichen Sondergemeinschaften zuständige Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Berlin, einen umfangreichen Artikel in der Dezember-Ausgabe des EZW-Materialdienstes veröffentlicht. Seine Einschätzung lautet, dass die NAK – trotz aller Bestrebungen sich zu öffnen – weiterhin »faktisch eine exklusive Kirche« sei. 
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Den achtseitigen Titelbericht hat Fincke seinem »verehrten Lehrer Helmut Obst zum 65. Geburtstag« gewidmet. Der Professor für Ökumenik, Konfessionskunde und allgemeine Religionsgeschichte an der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ist Finckes Doktorvater. Die aktuelle Bestandsaufnahme über die NAK war bereits im Juli 2005 in einer fast wortgleichen Fassung in der renommierten katholischen Monatszeitschrift »Herder Korrespondenz« unter dem Titel »Fremde Nachbarn – Die Neuapostolische Kirche ist in Bewegung gekommen« erschienen.
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Zu Beginn seines Beitrags bezeichnet es Fincke als »kleine Sensation«, dass Stammapostel Richard Fehr am 20. April 2005 dem neu gewählten Papst Benedikt XVI. in einem Glückwunschschreiben gratuliert habe. In dem Brief nach Rom hatte das damalige Oberhaupt der NAK versichert: »Wir neuapostolische Christen schließen Sie in unsere Gebete ein.« Dem Papst, so Fincke, habe damit eine Gemeinschaft gratuliert, »die aus Sicht des Vatikans vermutlich als ›Sekte‹ wahrgenommen wird«. Bemerkenswert sei das Schreiben deshalb, weil sich die NAK früher für eine Papstwahl kaum interessiert hätte. Nun nehme man Anteil am Geschehen in der weltweiten Christenheit.
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Fincke erwähnt in diesem Zusammenhang auch das Beileidsschreiben, das Bezirksapostel Wilfried Klingler zum Tod von Papst Johannes Paul II. an alle katholischen Bischöfe in seinem Arbeitsbereich versandt hatte (siehe naktuell.de Artikel vom 18.04.2005). Darin hatte der Leiter der Gebietskirchen in Mitteldeutschland den Verstorbenen als »großen Mann Gottes« gewürdigt, dessen Pontifikat man »mit Hochachtung und Bewunderung« verfolgt habe. Fincke schreibt dazu: »Solche Töne lassen aufhorchen bei einer Gemeinschaft, die sich als exklusiv versteht und wahre Gotteskindschaft nur in den eigenen Reihen sieht.«
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In Erneuerungsbewegungen verwurzelt
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Gemessen an ihrer Größe, konstatiert der EZW-Referent, gerate die NAK jedoch nur selten in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses. Anschließend skizziert Fincke die »komplizierte Entstehungsgeschichte« der NAK – von der Verwurzelung in den religiösen Erneuerungsbewegungen in England, der Berufung der zwölf englischen Apostel, über die Hamburger Abspaltung 1863 bis zur Herausbildung der NAK und das Entstehen der zahlreichen Abspaltungen.
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Über das Amt des Stammapostels, als dessen Geburtsstunde das Pfingstfest 1897 gilt, urteilt Fincke: Mit der »Überhöhung« des Amtes als »das sichtbare Haupt des Werkes Gottes« sei die Gleichberechtigung unter den Aposteln beendet worden. Es sei hernach »eine zentralistische Organisation« mit einem exklusiven Glaubens- und Selbstverständnis entstanden. Diese Entwicklung sei »eine entschiedene Abkehr von den eigenen Wurzeln« gewesen.
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Im Folgenden kommt der evangelische Pfarrer auch auf die von Lehrstreitigkeiten geprägte Kirchenhistorie zu sprechen. Keine andere christliche Sondergemeinschaft habe eine solche Fülle von Abspaltungen erlebt, weil sich immer wieder Gruppen und Gemeinden von der NAK getrennt hätten, um ihren von den jeweiligen Stammaposteln abgesetzten und aus der Kirche ausgeschlossenen Aposteln zu folgen. »Einige Dutzend solcher Gemeinschaften« seien in der Fachliteratur beschrieben, so Fincke.
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Das Verhältnis der apostolischen Gemeinschaften untereinander beschreibt er  als »lange Zeit kühl und distanziert«. In den vergangenen Jahren habe es jedoch vereinzelt Gespräche unter denen gegeben, die sich näher stünden. Die weitere Entwicklung müsse man abwarten. Der NAK komme jedoch in diesem Zusammenhang »eine besondere Rolle« zu, weil sie die »Mutter« vieler Abspaltungen und »mit Abstand die größte und einflussreichste« der apostolischen Gemeinschaften sei.
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Wo Apostel stehn …
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Über das Amtsverständnis und im besonderen das Apostelamt äußert Fincke, für die NAK sei die wahre Kirche Christi an das Amt des Apostels gebunden, der – laut dem katechismusartigen Büchlein »Fragen und Antworten über den neuapostolischen Glauben« – der »von Gott erwählte Bevollmächtigte Jesu Christi in seiner Kirche« sei. Nach der Logik der NAK sei »Kirche im Vollsinn nur da möglich, wo Apostel sind«. Dieser Befund sei für das Selbstverständnis der NAK grundlegend und könne von den ökumenischen Kirchen nicht akzeptiert werden, für die das biblische Apostelamt an die Beauftragung durch Jesus Christus gebunden sei.
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Fincke räumt ein, dass man als Außenstehender derzeit in einer schwierigen Situation sei: Zitiere man weiterhin aus dem Büchlein »Fragen und Antworten«, das bekanntlich frühestens 2008 durch einen umfassenden Katechismus ersetzt werden soll, werde man freundlich darauf hingewiesen, dass manches »so nicht mehr« gesagt werde. Weil jedoch der angekündigte Katechismus noch nicht vorliege, bleibe unklar, welche Überzeugungen gegenwärtig verbindlich seien. Vieles spreche jedoch dafür, dass in den NAK-Gemeinden nach wie vor geglaubt werde, was zu den traditionellen Glaubensvorstellungen gehöre. Fincke: »Es wäre auch eigenartig, wenn sich Neuerungen so leicht durchsetzen ließen – und würde Kritikern recht geben, die der NAK nach wie vor einen autoritären Charakter bescheinigen.«
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Mit einigen Zitaten von Aposteln aus der Kirchenzeitschrift »Unsere Familie«, die Fincke mitunter als »theologisch äußert problematisch« bezeichnet, belegt der EZW-Referent die »herausragende Stellung des Stammapostels« und die »erstaunliche Dignität«, die seinen Worten und dem Amt zugesprochen werden. 
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Über die von Stammapostel Johann Gottfried Bischoff 1951 verkündete »Botschaft«, dass Jesus noch zu seinen Lebzeiten wiederkommen werde, heißt es, dies sei ein Ereignis in der Geschichte der NAK gewesen, an dem die Problematik des Stammapostelamtes besonders deutlich werde. Heute, urteilt Fincke, sei »kaum zu bestreiten, dass Bischoffs unselige Vorhersage viel Verwirrung und Leid verursacht« habe, zumal es in ihrer Folge zum Ausschluss und zur Abspaltung ganzer Gemeinden gekommen sei.
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»Mitunter willkürliche Bibelauslegung«
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An der Theologie und Glaubenspraxis kritisiert der EZW-Referent, dass die Apostel und alle anderen Amtsträger durchweg Laien seien und über keine wissenschaftlich-theologische Ausbildung verfügten. Es fehle daher oftmals an einem vertieften Umgang mit den biblischen Texten, mitunter muteten Auslegungen recht willkürlich an.
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Dass die NAK nach wie vor häufig als »Sekte« wahrgenommen werde liege am Exklusivismus, der nicht zuletzt mit dem Sakrament der »Versiegelung« und mit den Vorstellungen von der »ersten Auferstehung« zusammenhänge. Die Kirche Jesu Christi werde auf die eigene Organisation reduziert, in der allein Errettung und Heil möglich seien.
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Als Beleg führt Fincke Apostel Volker Kühnle an, der im Sommer beim Studientag über »Das Selbstverständnis Apostolischer Kirchen und Gemeinschaften als Kirche Jesu Christi« in Halle/Saale abermals die Exklusivität der NAK betont hatte, als er sagte, nach neuapostolischem Verständnis sei Kirche im Vollsinn nur da, wo auch das erneuerte Apostelamt in Einheit mit dem Stammapostel bestehe. Allein die mit dem Stammapostel verbundenen Christen bildeten die endzeitliche Braut des Lammes und seien als solche mit Christus verbunden (siehe naktuell.de Artikel vom 06.07.2005).
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Fincke: »Zwar wollte Kühnle die NAK nicht als ›exklusive Endzeitkirche‹ – so der Titel eines Buches von H. Obst zur NAK – sehen, aber was er beschrieb war faktisch eine exklusive Kirche.« Bei der Podiumsdiskussion während des Studientages habe Kühnle dann auch klar gesagt, dass man zur Erlangung der Seligkeit neuapostolisch werden müsse. Jedoch könnten auch die christlichen Märtyrer gerettet werden.
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Die Mitglieder der NAK sind nach Angaben Finckes jedoch – »ungeachtet der Sonderlehren« – Christen. Die Taufe der NAK werde von den beiden großen Kirchen anerkannt. Ökumenische Gottesdienste oder Segenshandlungen würden von der NAK jedoch strikt abgelehnt, was bei der Frage nach ökumenischen Trauungen immer wieder zu Konflikten führe. Die NAK, so informiert Fincke die Leser des EZW-Materialdienstes, sei nicht Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) und werde nicht als Freikirche angesehen. In der Schweiz habe die NAK in der Arbeitsgemeinschaft der Kirchen im Kanton Bern (AKB) jedoch einen Gaststatus. 
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Öffnung geschah »nicht ganz freiwillig«
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Finckes Resümee der vergangenen Jahre lautet denn auch, dass »Bewegung in die NAK gekommen« sei. Dies sei jedoch »nicht ganz freiwillig« geschehen, weil die Berichterstattung im Internet sowie kritische Publikationen dazu herausgefordert hätten. In den Anmerkungen seines Beitrags erwähnt der EZW-Referent ausdrücklich die Internetmagazine naktuell.de und Glaubenskultur. Aber auch in den eigenen Reihen gebe es zweifellos Stimmen, die eine geistliche Neuorientierung wünschten.
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Fincke berichtet auch über die innerkirchlichen Entwicklungen, sich vermehrt mit dem Thema Ökumene zu beschäftigen. Äußerungen von Stammapostel Fehr, der Öffnungsprozess in Richtung der ökumenischen Bewegung sei »ein langer Weg des gegenseitigen Kennenlernens und niveauvoller Gespräche in Respekt und Hochachtung«, kommentiert Fincke mit dem Satz: »Dies sind erstaunliche Entwicklungen, die man würdigen muss, auch wenn derzeit keine großen Ergebnisse zu erwarten sind«. Und mit Verweis auf den Rücktritt des holländischen Apostels Gerrit Sepers und das ausführliche Interview von naktuell.de vom 04.01.2005 mit ihm kommt Fincke zu dem Schluss, dass die Frage nach dem Exklusivitätsanspruch »nach wie vor äußerst heikel« sei.
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Stammapostel Fehr, der an Pfingsten 2005 nach 17 Jahren in den Ruhestand getreten ist, hält Fincke zugute, es zähle zu seinen Verdiensten, »eine behutsame Öffnung der NAK eingeleitet zu haben«. Wie zwiespältig der Öffnungsprozess teilweise an der kirchlichen Basis jedoch erlebt werde, habe der scheidende Stammapostel noch kurz vor seinem Eintritt in den Ruhestand zu spüren bekommen, als er für seine Schreiben nach Rom in den eigenen Reihen nicht nur Anerkennung, sondern auch herbe Kritik geerntet habe. Manche hätten ihm »Verrat« vorgeworfen und gefragt, ob sie sich nun von ihrem Glauben verabschieden müssten. Deshalb habe Fehr gemahnt: »Wir müssen behutsam Schritt für Schritt vorgehen, denn wir möchten allen Heimat sein, auch dem orthodoxen Flügel«.
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Typische Ambivalenz: Verändern und Bewahren
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Zum Schluss schildert Fincke noch, dass der neue Stammapostel Wilhelm Leber im Oktober 2005 in einem Gottesdienst in Castrop-Rauxel zu einigen Veränderungen in der NAK geäußert und vorgeschlagen habe, nicht von Änderungen zu reden, sondern von »Anpassung und Schärfung«, weil »die große Linie unserer Glaubensauffassung« unverändert geblieben sei und es auch bleiben werde. Fincke bewertet diese jüngsten Äußerungen jedoch wie folgt: »Da ist sie wieder, die typische Ambivalenz zwischen Veränderung und Bewahrung.«
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Seinen Beitrag für die »Herder Korrespondenz« im Juli dieses Jahres hatte Fincke noch mit der Einschätzung beendet: »Man darf also gespannt sein, welchen Weg die NAK unter ihrer neuen Führung künftig nehmen wird«. Auf diesen Schlusssatz hat er in seinem aktualisierten Bericht für den EZW-Materialdienst nun verzichtet.
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Jens Joachim, 12.12.2005
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Dr. Andreas Fincke
Bild: EZW
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Zur Person
Dr. theol. Andreas Fincke, geboren 1959 in Halle/
Saale, seit 1992 Pfarrer und Beauftragter für Sekten-
und Weltanschauungs- 
fragen der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen (heute: Föderation Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland) sowie wiss. Referent an der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Berlin.
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Literatur
»Werk Gottes in der Vollendungszeit? – Die Neuapostolische Kirche heute« (Andreas Fincke in: Materialdienst der EZW,
Nr. 12/2005, S. 443–450)
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
»Fremde Nachbarn – Die Neuapostolische Kirche ist in Bewegung gekommen«
(Andreas Fincke in:
Herder Korrespondenz,
Nr. 07/2005, S. 364–368)
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Bezug
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